Der Medienkünstler Marc Weiser baut in seiner elektronischen Klangbearbeitung auf der originalen Tonspur des ersten Tonfilms von Dziga Vertov auf. Er nähert sich dem Original dabei sowohl mit einer additiven als auch mit einer kontrapunktischen Herangehensweise.
Im additiven Ansatz wird der Originalton vollständig beibehalten und nur mit wenigen Klängen subtil unterstützt, um die Synchronität von Bild und Ton des Originals für das Publikum erfahrbar zu machen. Besonderer Wert wird auf die Erhaltung der restaurierten Sequenzen gelegt, die eindrucksvoll die hohe Musikalität des montierten Materials belegen.
Für den kontrapunktischen Ansatz beruft sich Marc Weiser auf S.M. Eisenstein, W.I. Pudowkin und G.A. Alexandrow. Sie schreiben in ihrem 1928 verfassten Manifest zum Tonfilm: „Nur eine kontrapunktische Verwendung des Tons in Beziehung zum visuellen Montage-Bestandteil wird neue Möglichkeiten der Montage-Entwicklung und Montage-Perfektion erlauben. Die erste experimentelle Arbeit mit dem Ton muss auf seine deutliche Asynchronisation mit den visuellen Bildern gerichtet werden. Nur eine solche Operation kann die notwendige Konkretheit herbeiführen, die später zur Schaffung eines orchestralen Kontrapunktes visueller und akustischer Bilder führen wird.“
Marc Weiser setzt hier sein eigenes akustisches Material ein, in dem zum Teil die neoliberalistische Arbeitswelt anklingt, das damit auch als Kommentar zum Blick des Originals auf die Industrialisierung zu lesen ist. In der Bearbeitung bedient er sich der Computertechnologie als vertikalem Montage-Instrument, um in die sedimentierten Inhaltsschichten des akustischen Reservoirs einzudringen und sie auf ihre rhizomatischen Fähigkeiten zu untersuchen.
Seiner Idee von Montage ist dabei ein antilogischer Impetus eingeschrieben, der die lineare Kausalität gegen eine aleatorische Offenheit eintauscht. Diese Offenheit macht es Marc Weiser möglich, in der Verbindung von additiver und kontrapunktischer Herangehensweise aus dem Originalton heraus eine Übersetzung ins 21. Jahrhundert zu schaffen.
Über den Film Entuziazm von Dziga Vertov
Zum spätest möglichen Zeitpunkt – noch war das Bildnis Stalins nicht allgegenwärtig, noch die Avantgarde nicht liquidiert, doch der erste Fünfjahresplan dekretiert, Trotzki längst in türkischer Verbannung – zeigt uns Dziga Vertov die Realisierung einer Utopie. Entuziazm, Vertovs erster Tonfilm aus dem Jahr 1930, führt eine Beziehung zwischen Mensch und Maschine vor, in der die Versöhnung von Arbeit und Spiel verwirklicht scheint. Inmitten des ohrenbetäubenden Lärms und des unheilvollen Qualms, die aus dem Schlund einer Hölle aufsteigen, entsteht das Bild einer produktiven Symbiose von Mensch und Industrie: „Aus der Arbeit ein Spiel machen“ – noch heute der Slogan aller Arbeiterstaat-Despotien.
Doch Vertov begnügt sich nicht mit dieser Inszenierung der Arbeit. Selbst ihrer Lobpreisung gewinnt er Analytisches ab: Nicht, weil die Ursache der Entfremdung verschwunden wäre, sondern weil Entfremdung zur Regel geworden ist, kann er ein Bild abstrakter Arbeit entwickeln. Wie mit dem Ton, der in seiner Rauheit, Ungebändigtheit und Intensität bis heute in der Filmgeschichte seinesgleichen sucht, muss Vertov auch visuell den schönen Schein verletzen. In einer Steigerungsform, die Analyse und Fluchtlinie zugleich ist, wird der Arbeitsprozess schließlich als Abstraktion kenntlich gemacht, die sich an den Menschen gewaltsam vollzieht: Abstraktion von unserer Lebenszeit, die im Austausch gegen Lohn vergeht.