Ion-Gun
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Susanna Niedermayr im Gespräch mit GX Jupitter-Larsen
Susanna Niedermayr: Sie bezeichnen sich gerne als „Jack of all Trades” und „Master of None“, als ein Hansdampf in allen Gassen, warum?
GX Jupitter-Larsen: Weil mich alle Medien gleichermaßen interessieren, das Buch, der Film, das Video, die Installation, das Objekt, Kunstlandschaften, das Radio, der Computer, das Internet, jedes Medium hat seine ganz speziellen Qualitäten. Und am interessantesten finde ich, eine Idee von einem Medium in ein anderes zu übersetzen. Das Radio, das Buch, der Film, die verschiedenen Medien funktionieren dann wie ein Filter, der auf die durch ihn gehende Information Einfluss ausübt, und genau dieser Aspekt, eben wie sich Information durch den Prozess des Filterns verändert, interessiert mich.

Susanna Niedermayr: Als einen wichtigen frühen Einfluss nennen Sie die Punk-Bewegung, was speziell hat Sie hier inspiriert?
GX Jupitter-Larsen: An Punk haben mich viele Aspekte interessiert, etwa der DIY-Ansatz, die Idee, dass man seine eigenen Platten herausbringen und seine eigenen Konzerte veranstalten sollte. Ganz besonders interessiert hat mich aber die Dynamik, die sich bei einem Punk-Konzert zwischen der Band auf der Bühne und dem Publikum entwickelte. Das Publikum war Teil der Show. Mitunter fand im Publikum sogar mehr Show statt, als auf der Bühne, zumindest in den frühen Tagen von Punk. Diese Dynamik wollte ich in meiner Arbeit auch herstellen. Es hat einige Jahre gedauert, bis ich das auch auf einer reflexiven Ebene verstanden habe, aber während meiner Punkzeit habe ich jedenfalls begonnen herauszufinden, was ich eigentlich tun wollte.

Susanna Niedermayr: Als eines Ihrer erfolgreichsten Projekte nennen Sie in diesem Zusammenhang auch heute noch ihre 1983 erschienene dritte Platte. Was war hier die Idee?
GX Jupitter-Larsen: Diese Platte hatte, so wie jede andere Platte auch, Rillen, nur verbarg sich in diesen dann nicht wie erwartet Musik. Es gab auf dieser Platte erst einmal gar nichts zu hören. Stattdessen legte ich jedem Exemplar eine Bedienungsanleitung bei. Darauf stand, dass die Platte vom jeweiligen Besitzer erst fertig gestellt werden müsse. Dieser sollte einige Kratzer in die Platte machen, welche er sich dann auch sogleich mit Hilfe seines Plattenspielers anhören konnte. Obwohl es sich hierbei um ein komponiertes Werk handelt, ist es keine Komposition. Die Grenze zwischen Künstler und Publikum löst sich auf, es ist nicht mehr klar, wer nun wer ist. Ist der Zuhörer bzw. die Zuhörerin nun Mitglied der Band? Letztendlich sind aber all diese Fragen irrelevant, denn man weiß sofort, nachdem man die Bedienungsanleitung gelesen hat, was zu tun ist mit diesem Objekt. Man weiß all die Dynamiken, die hier stattfinden, vielleicht nicht in die richtigen Worte zu fassen, aber man versteht unmittelbar. Die ZuhörerInnen tragen zum Schaffensprozess der Platte bei und dabei wird die Platte zur Performance.

Susanna Niedermayr: Später haben Sie dann ja ganz auf Vinyl verzichtet…
GX Jupitter-Larsen: Für diese dritte Platte brauchte man immer noch Elektrizität und einen Plattenspieler, und ich dachte mir im Anschluss an dieses Projekt, ich sollte nun eine Platte machen, die gar nichts mehr mit Musik zu tun hatte. Im Wesentlichen war die Platte ja ein Requisit, das zum Ausführen der Performance diente. Ich veröffentlichte dann also eine Platte, die gar keine Rillen mehr hatte und in einem Sack voller Erde steckte. In der Bedienungsanleitung stand, dass man mit der Erde an der Platte reiben sollte. Da viele dachten, dass sie die mit der Erde eingeriebene Platte schließlich wiederum mit dem Plattenspieler abspielen sollten, um den dabei entstehenden Klang hören zu können, entschloss ich mich, noch einen Schritt weiter zu gehen. Ich nahm einen Haufen silbern glänzender Plastikstücke und besorgte für jedes Plastikstück eine Schachtel in einer ähnlichen Farbe, polsterte diese aus und legte das Plastikstück hinein. Daraufhin fertigte ich wieder eine Bedienungsanleitung an, auf der diesmal stand, dass der jeweilige Besitzer bzw. die jeweilige Besitzerin, das Plastikstück nehmen und mit Wasser übergießen sollte. Da kam dann aber wirklich niemand mehr auf die Idee, das nasse Plastik auf den Plattenspieler zu legen.

Susanna Niedermayr: Das zentrale Thema ihrer Arbeit ist die Entropie. Was fasziniert Sie an der Entropie?
GX Jupitter-Larsen: Die Entropie bestimmt den Lauf der Dinge. Die Entropie ist jene Kraft, die während sie Leben schenkt, dieses auch gleichzeitig wieder nimmt. Darin steckt eine gewisse Ironie, die ich in jungen Jahren sehr lustig fand und die mich in meiner künstlerischen Arbeit, sowohl auf als auch jenseits der Bühne sehr inspirierte. Als ich dann als Künstler schon ein bisschen reifer war, fand ich heraus, dass es viele verschiedene Definitionen von Entropie gibt. In einer heißt es, dass Entropie ein Werkzeug ist, mit dem man das Ausmaß von Verfall messen kann. Diese Idee finde ich sehr interessant, und ich habe mir auch bereits eine Vielzahl von Messwerkzeugen geschaffen. Man kann beobachten, wie ein Blatt am Wegesrand langsam verrottet, letztendlich holt sich die Natur so jene Nährstoffe zurück, die es braucht, um das Ökosystem in Gang zu halten. Bäume fallen um und verschwinden, zersetzen sich und verfaulen. Das ist der Kreislauf der Natur. Die Entropie steckt hinter allem und nur wer auf der durch das Leben wogenden Entropie zu surfen lernt, wer es schafft die Balance zu halten und nicht herunterzufallen, der kann sich weiter entwickeln.

Susanna Niedermayr: Sie haben sich auch eine Vielzahl an Regelsystemen und ein neues Begriffsuniversum geschaffen. Was etwa ist unter einer Polywave zu verstehen?
GX Jupitter-Larsen: Wir haben das Gefühl, dass wir in diesem Radiostudio in dem wir soeben das Interview führen still sitzen, aber das Studio befindet sich auf einem Planeten, der um einen Stern rotiert, und auch dieser bewegt sich. Streng physikalisch genommen, sitzen wir also nie still, wir befinden uns immer in Bewegung, und je nach  Blickwinkel nähern wir uns an, oder entfernen wir uns. Das Rad, das die Straße hinunter rollt bewegt sich von mir weg, im selben Moment kommt es aber auch auf jemanden anderen zu. Welcher Blickwinkel ist also relevant, welcher stimmt? Ich würde sagen, beide Blickwinkel stimmen, allerdings nur dann, wenn sie den jeweils anderen Blickwinkel ebenfalls in Betracht ziehen.

Susanna Niedermayr: Wenn Sie Musik machen, dann machen Sie Noise-Musik, wie hängen Noise-Musik und Entropie zusammen?
GX Jupitter-Larsen: In jeder Form von Mahlung oder Schleifung, immer dann, wenn es um Reibung geht, entsteht zuerst einmal Klang. Mit der Entropie und dem Noise verhält es sich so wie mit dem Himmel und der Luft, die beiden gehören einfach zusammen. Tatsächlich glaube ich, dass Entropie und Noise ein und dasselbe sind. Um Noise wirklich erforschen zu können, muss man die Entropie erforschen und vice versa.

Susanna Niedermayr: Was haben Sie aus der nun bereits jahrelangen Auseinandersetzung mit der Entropie für sich persönlich mitgenommen?
GX Jupitter-Larsen: Ich habe keine Karriere, ich habe auch kein Geld, aber ich habe geistigen Frieden. Selbst in Zeiten großer Konflikte schaffe ich es immer, mich selber zu finden. Ich weiß wo ich stehe und ich weiß auch, wo ich in der Welt stehe. Und ich lebe in Frieden mit der Welt. Ich weiß jetzt nicht, wie das für Außenstehende klingt, aber in einer Welt, in der die Entropie immer präsent ist, muss man eben auch immer Balance finden. Man muss sich immer bewusst sein, dass das Glas halb voll ist, aber gleichzeitig auch halb leer. Es ist nicht entweder oder, sondern es ist beides. In gewisser Hinsicht muss man immer die Initiative ergreifen. Man muss Verantwortung für sich übernehmen und für die Dinge, die man tut. Und man muss sich immer bewusst sein, dass man, wenn man metaphorisch gesprochen stolpert, in große Schwierigkeiten geraten kann. Die jahrelange Auseinandersetzung mit der Entropie hat mich gelehrt, das Leben noch mehr zu schätzen und die Schwierigkeit des Lebens zu verstehen.

Susanna Niedermayr: Ihre Arbeit ist sehr ernsthaft und absurd komisch zu gleich…
GX Jupitter-Larsen: Es ist mir sehr ernst mit dem, was ich tue, aber gleichzeitig soll meine Arbeit auch humorvoll sein. Hier geht es wieder darum die Balance zu finden. Um nochmals auf Punk zurückzukommen: Die KünstlerInnen der Dada- und frühen Punkbewegung strotzten vor Lebensfreude, obwohl sie sich gleichzeitig vor der Welt ekelten. Gerade weil man so vor Lebensfreude strotzte, ekelte man sich vor der Welt. Wir leben in einer Welt voller Paranoia, Fremdenfeindlichkeit und religiöser Konflikte und da brauchen wir Humor genauso, wie Ernsthaftigkeit, wie ein ernsthaftes Bewusstsein für die Zwickmühle in der wir uns alle befinden.

Auszüge aus einem Interview, das Susanna Niedermayr 2006 ein Zeit-Ton über GX Jupitter-Larsen geführt hat.
Interpret/innen

GX Jupitter-Larsen, Konzept
Greg Leyh, Ion-Gun Konstruktion
Reni & Jogi Hofmüller, Haters

Termine
Location
Dom im Berg
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Performance
Biografien