Transfert Graz Rom Wien
Transfert Graz Rom Wien

Manchmal, wenn zwei Fernsehstationen gleichzeitig ein Wettrennen übertragen, kann man in dem einen Sender in die Zukunft des zweiten sehen. Die der Übertragung technisch eigene Zeit­verzögerung lässt die Wirklichkeit entzweifallen. Das Phänomen erscheint uns alltäglich, bis hin zu den kleinen Irritationen der zugeschalteten Korrespondenten, die immer ein klein wenig zu lang mit ihrer Antwort warten und denen man nie die Zeit lässt, sich gepflegt zu verabschieden. Kurz bevor ihr Bild im virtuellen Raum wieder verschwindet , starren sie etwas hilflos und verloren in unsere Wohnzimmer. Zu Recht, denn, wenn auch unbeabsichtigt, sie verweisen auf einen entscheidenen Punkt: Nicht das Übertragene, sondern die Übertragung selbst ist das Reale.
 
Selbst das Unscheinbare solcher Störung vermag darauf hinzuweisen, dass in der Übertragung eine enigmatische Kraft zur Veränderung steckt, aber eben nicht im Sinne einer wie aus sich selbst geborenen, wie innerlich vollzogenen Verwandlung, sondern im Sinne des Erscheinens des Einen als etwas Anderes, eines Wiedererscheinens, eines Transfers.

„transfert" ist folgerichtig das eigentümlich anglizistisch anmutende Wort im Italienischen und Französischen, mit dem jene Mechanismen bezeichnet werden, die von Sigmund Freud entschlüsselt und von ihm selbst als „Übertragung" bezeichnet wurden. Entkommen gibt es ohnedies keines, auf jedes Weitergeben, sei es ein beabsichtigtes oder unbeabsichtigtes, trifft zu, dass sich weniger im Weitergegebenen als im Weitergeben selbst - im Transfer, in der Übertragung - die geheimnisvollen, aber umso wirkmächtigeren Kräfte verbergen. Eltern-Kinder, Lehrer-Schüler, von Epoche zu Epoche, von Kultur zu Kultur in diachroner Hinsicht; aber auch in sychron Erlebtem wie den erwähnten technisch bewerkstelligten Live­Übertragungen, im Verhältnis zweier Menschen oder Menschengruppen (und ihrer jeweiligen Vorgeschichte) zueinander, im Verhältnis verschiedener Künste zueinander bewirken die oft vorerst unbemerkt bleibenden Mechanismen der Übertragung Tiefgreifenderes, als das augen­scheinlich Verhandelte, als das vermeintlich Übertragene bewirkt. Sosehr es kein Entkommen geben mag - wie banal auch immer und doch zumeist übergehen dieser Tatbestand sein mag -, sosehr gibt es verschiedene Formen, damit umzugehen.In einem gesellschaftlich-künstlerischem Umfeld aus Retro und Remix, aber auch Medientheorie und Netzkunst, Sampling, appropriation art und Musik entwirft Roberto Paci Dalö eine bewusst verhältnismäßig einfach und unaufwändig gehaltene Versuchsanordnung: Sie thematisiert das Ineinandergreifen von Übertragungsleistungen und ihrer - auch mit ironischer Leichtigkeit vor­geführten - Auswirkungen; eine sentimentale Versuchsanordnung zur Unmöglichkeit veritabler Übertragung, ohne das Übertragen zu übertragen. Die wichtigsten Ingredienzen: Ein einfacher Übertragungskreislauf zwischen sind die realen Orte in diesem medialen Kreislauf, und letzterer nicht zuletzt wegen seiner symbolischen Aufgeladenheit in Bezug auf Übertragungsmechanismen der „europäischen" Kulturgeschichte. Rom ist als Ort Symbol für den Transfer kultureller Werte, ein Phänomen, das schon mehrmals ganze Generationen beschäftigt hielt, vom frühen nordeuropäischen Mittelalter über die Renaissance zur Romantik und darüber hinaus. Der deutsche Gelehrte Athanasius Kircher verfasste in Rom Visionäres zu Transforma­tions- und Transferprozessen und der Erfinder der Übertragung als psychoanalytisch zu deuten­des Phänomen reiste nirgendwohin öfter und lieber als nach Rom. Textfragmente von Kircher und Freud werden von heutzutage die Stadt frequnetierenden Wissenschaftlern und von Plätzen der Stadt aus in die technische Versuchsanordnung von tranfert Graz Rom Wien eingeschleust, um sich dann ebenso den Mechanismen dieser Übertragung ausgesetzt zu sehen, wie die aus dem Konzertsaal in Wien kommende Musik. Der französische Komponist Brice Pauset, einer der phantasievollsten kompositiorischen Weiterdenker von Frescobaldi bis Schubert, spielt Musik des in Rom wirkenden Komponisten Girolamo Frescobaldi und stellt dessen Toccaten die Musik seines Schülers und später in Wien wirkenden Komponisten Johann Jakob Froberger gegenüber: Ein weiteres kleines Spiel mit geographischen ebenso wie biographischen Übertragungs­leistungen innerhalb der technischen Versuchsanordnung zur Übertragung. Roberto Paci Dalö schließlich übernimmt gewissermaßen die Rolle der enigmatischen Kraft: Im Studio in Graz ist er als Konstrukteur der Versuchsanordnung der Initiator der Übertragungsmechanismen ebenso, wie er, sobald die Mechanismen zu arbeiten beginnen, auch der von der Übertragung Getriebene ist. „Das ergibt sozusagen ein Klischee (oder auch mehrere), welches im Laufe des Lebens regelmäßig wiederholt, neu abgedruckt wird, (...) welches gewiß auch gegen rezente Eindrücke nicht völlig unveränderlich ist", notierte Sigmund Freud zur „Dynamik der Übertragung".
 

Emanuel de Paula
Interpret/innen

Roberto Paci Dalô /Giardini Pensili, Konzept, Netzwerk
Michael Moser, Cello – Graz
Brice Pauset, Cembalo – Wien
NN, Stimme – Rom
Athanasius Kircher, Sigmund Freud, Text
Girolamo Frescobaldi, Musik
Johann Jakob Froberger, Musik
Roberto Paci Dalo, Musik
 
 
 

Termine
Location
ORF Funkhaus Wien
Konzert
Dieses Werk gehört zu dem Projekt:
musikprotokoll 2002 | Transfert Graz Rom Wien