Kurz vor Ende des derzeit letzten Filmkapitels - Film ist. 12.5. - lodern Flammen. Kontinuierliches Knacksen, Krachen, Rauschen begleitet die Szene. Man realisiert die bewusst gesetzte Übereinstimmung, aber nicht ohne zugleich etwas Dissoziierendes wahrzunehmen. Die Klänge haben zwar die Kraft, an das beängstigende Geräusch wild brennenden Feuers zu erinnern, aber zugleich vermitteln sie deutlich eine distanzschaffende Kühle.
Man hört an dieser Stelle das Abtasten von Phonographenwalzenanfängen. Die Komponisten für die Musik zu den Kapiteln 7 bis 12 (Dafeldecker/Fennesz/Siewert/Stangl) bekamen während der Entstehungsphase des Films von Gustav Deutsch immer wieder fragmentarisches Filmmaterial und reagierten darauf mit der Herstellung von ebenso fragmentarischem Klangmaterial. Analog zu den verfügbaren Filmfundstücken entstand ein komponierter Klängekatalog. Und so wie Gustav Deutsch die betrügerische Macht des Filmschnitts in der Zusammenstellung seiner Fundstücke einsetzt, um die permanente Konstruktionsarbeit des Zusehers bloßzulegen, verfuhr er beim Anlegen der Töne an die Bilder auch mit den Klängen dieses Katalogs: Phonographenwalzenanfänge zu Feuersbrunst ist wie der voyeuristische Blick in ein Kellerfenster, der - schnitttechnisch evoziert - das weite Meer zeigt. Erst die Relationen erzeugen Wirklichkeit und die Kunst dieses Films liegt in der diesbezüglichen Balance, mit funktionierendem Betrug und damit paradoxerweise gleichzeitig funktionierender Aufklärung zu erforschen, wie und was denn Film ist.
Ganz grundsätzlich nachgefragt, was denn Film sei beziehungsweise woher denn das Genre Film wie wir es kennen, kommt, verweist Gustav Deutsch auf zwei Wurzeln: Jahrelang sei das neue Medium in hauptsächlich zwei Lebenssphären genutzt worden, der wissenschaftlichen, beziehungsweise populärwisseschaftlichen Darstellung von meist bis dahin „unsichtbaren" Phänomenen einerseits, und dieser Sphäre ist Film ist. (Kapitel 1 - 6) gewidmet, und andererseits dem Vaudeville, dem Jahrmarkt, der schnellen und voyeuristischen Unterhaltung. Diese Sphäre umschreibt Gustav Deutsch mit Hilfe hunderter kurzer Filmpartikel aus den esten Jahrzehnten des neuen Mediums in Film ist. (Kapitel 7-12). Dieses Umschreiben wird in Gustav Deutschs Arbeit zu einem künstlerischen Neuschreiben, einer höchst persönlichen Darstellung der filmhistorischen Wurzeln eines noch immer junen Mediums.
Die Rohfassung mit den von Gustav Deutsch angelegten Klängen fungierte als Ausgangspunkt für die weitere kompositorische Arbeit der vier Musiker, die - in verschiedenen Kooperationen -den sechs Filmkapiteln schließlich Musik maßschneiderten. Oft wurde das klangliche und das filmische Material ausgetauscht und angeglichen, eine ineinanderverzahnte Arbeitsweise entwickelte sich, die den Gepflogenheiten des Genres Film-Musik auf geradezu utopisch scheinende Art widersprechen. Meist reduktionistisch und zurückhaltend entfernt sich die Musik mehr oder weniger weit von assoziativen Verknüpfungsmöglichkeiten zum Bild, um selten eine so direkte Verbindung einzugehen, wie in der erwähnten Szene des voyeuristischen Blicks durch das Kellerfenster aufs weite Meer: Das Fremde gewinnt in der Ferne Klang, während das Staunen der Schauenden schweigt.
Ausgehend von dieser Arbeit am Film entstanden mehrere Folgeversionen: Für das musikprotokoll 02 stellte Gustav Deutsch neue Filmfassungen her, die auf genau jenen Fragmenten alter Filme aus der sogenannten und letztendlich ziemlich lauten „Stummfilmära" stammen, die in viel kürzeren Sequenzen auch Grundlage des originalen Film ist. sind. Zu diesen neuen Filmsequenzen spielen die vier Komponisten live, ein Vorhaben, das sich gerade wegen der metikulösen Arbeit an der Musik zu Film ist. (Kapitel 7 -12) selbstverständlich verbietet. Der musikprotokoll-Abend im Schubertkino verschränkt beide Herangehensweise ineinander.