komposition für streichquartett 2
komposition für streichquartett 2

„Es heißt, daß der große Baal Sem Tov, wenn er unglück für die judenheit heraufziehen sah, die angewohnheit hatte, einen bestimmten platz im wald aufzusuchen, um zu meditieren. Dort pflegte er ein feuer zu entzünden, ein bestimmtes gebet zu sprechen und das wunder trat ein: die bedrohung für die judenheit verschwand. Später, wenn sein schüler, der verehrte Maggid von mezeriä aus gleichem grund im himmel einspruch zu erheben hatte, dann ging er an die gleiche stelle im wald und sprach: „Herrscher des universums, höre! Ich weiß nicht, wie man das feuer entzündet, aber ich kann das gebet sprechen." Und wieder geschah das wunder. Noch später, als es an Moshe-Leib von sassov war, sein volk zu retten, ging er in den wald und sprach: „Ich kenne das gebet nicht, aber ich weiß den ort im wald und das muß genügen." Es genügte und wieder geschah das wun­der und die bedrohung ging vorüber.
Danach kam es an Israel von rilin, das unheil zu überwinden. Er saß in seinem prächtigen sessel, den kopf in den händen und sprach zu Gott: „Ich kann das feuer nicht entzünden und ich kenne auch das gebet nicht; ich kann nicht einmal die stelle im wald finden. Alles, was ich tun kann, ist, diese geschichte zu erzählen und auch das muß genügen." Es heißt, es habe genügt."

Es scheint, daß dieser erzählung am ende des zwanzigsten jahrhunderts christlicher zeitrechnung eine zeile hinzu­zufügen ist. Es scheint, daß das, was einst als tradition inbegriff menschlichen denkens war, auch nicht mehr erzählt werden kann.

Vielleicht gilt es also, diese leerstelle zu artikulieren, auf die suche sich zu begeben, ob es noch orte - im wald, auf einer geige - gibt, wo einst töne, ihre konstellationen in raum und zeit traditionen europäischen denkens und künstlerischer arbeit weiterzugeben in der lage waren.
Eine solche suche, eine suche nach möglichkeiten, ränder, vorraussetzungen und die - auch historisch bedingte -gestalt einstiger orte und zeiten der töne wahrnehmbar zu machen in einer situation, in der die verfügbarkeit von tönen, von musik scheinbar selbstverständlich und darum allgegenwärtig ist, wird sich nicht mehr selbstverständ­lich zwischen den gestaltbrocken musikalischer landschaft bewegen können und wird verwiesen auf die „unerhört­heit", auf die unverfügbarkeit gerade der scheinbar selbstverständlichsten und einfachster klanglichen realitäten. Töne - festumrissene zeichen, bedeckt mit den inschriften von konstruktionen der vergangenheit oder botschaften der zukunft - werden findlinge in einer offenen landschaft musikalischer raum-zeit, die noch dort, wo sie bekannt erscheinen mögen, die fremdheit des geräuschs sich erhalten und da, wo sie uns im dickicht unbekannter verflech­tung fremd vorkommen, die geschichte des ausdrucks bewahren, die sie als formen expressiver gesten in 1000 jah­ren westeuropäischer musikgeschichte angeeignet sich haben.

Während einmal mehr menschliche existenz durch die beschwörung des inhumanen untoter schatten der vergan­genheit, umstellt von wiedergängerischen gespenstern der knechtschaft unterm erinnerungslosen bild ihren fort­gang und ihr auskommen zu sichern hofft, bleibt die fußspur im sand letztes zeichen zurückgelegten weges, bleibt sichtbar nur in der rückschau auf den verschwindenden pfad, den man als einzigen nie mehr betreten kann, denn sein ziel ist verwehend weglos wie die wüste, seine richtung der pflug im meer.

Jakob Ullmann
Interpret/innen

Jakob Ullmann, Komposition
Arditti Quartet
Irvine Arditti, Violine
Graeme Jennings, Violine
Dov Scheindlin, Viola
Rohan de Saram, Cello

Termine
Location
Kulturzentrum bei den Minoriten – Minoritensaal
Konzert
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