Das 232 Seiten umfassende Voynich- Manuskript ist in einer bis heute nicht entzifferten Geheimschrift geschrieben; die renommiertesten Dekodierer scheiterten ebenso wie jahrelange computerlinguistische Forschungen, obwohl alle strukturellen Gesichtspunkte auszuschließen scheinen, dass es sich um einen sinnlosen Text handelt.
Im 16 . Jahrhundert wurde das Manuskript als vermeintliches „Lebenselixier" zu astronomischen Preisen gehandelt: der deutsche Kaiser Rudolf II kaufte es für 600 Golddukaten von dem berühmten englischen Gelehrten Dr. John Lee, der als Hofastrologe, Geograph, Mathematiker, Nekromant und Spionagechef in einer Person später Shakespeares Modell für Prospero in The Tempest wurde.
Die detailliert beschrifteten, phantastischen Illustrationen des Manuskripts zeigen unbekannte Blüten und Gewürze, Nymphen in einem weitverzweigten Netz aus Trichtern und Röhren, seltsame Erfindungen und Sternbilder, die es nicht gibt. Sie suggerieren einen medizinisch-astrologischen Sinn und haben wohl die meisten Forscher bei ihren Übersetzungsversuchen angeregt.
Trotz der positiven Ergebnisse bei syntaktischen Analysen, trotz der abenteuerlichen Quellengeschichte und der suggestiven Anschaulichkeit der Abbildungen ist es bis heute nicht gelungen, die Bedeutung des Textes und damit auch den Erfahrungshintergrund des Autors zu rekonstruieren.
Von den vielen fragmentarischen und spekulativen „Lösungen", deren Widerlegung nie lange auf sich warten ließ, habe ich einige Passagen als Textmaterial ausgewählt: Zahlenreihen, die die Sequenz der fremdartigen Buchstaben analysierbar machen sollten, auf diesen aufbauende lateinische und englische Silben- und Wortfolgen usw.
Gegenstand der Komposition ist so der Vorgang der Sinnkonstitution, in dem ein hermetisches Material sich auflöst in der doppelten Bewegung des Übersetzens, welche die vergleichende Annäherung an ein Vergangenes ebenso fordert wie die konstruktive Gestaltung neuer zusammenhänge. Diese komplexe Dynamik des Übersetzens mit all ihren Unwägbarkeiten spielerisch zu erkunden, ist der Grundgedanke des Stückes.
An drei zentralen Stellen werden zu dem Gedichte von Velimir Chlebnikov in der Übersetzung von Oskar Pastior rezitiert. Chlebnikovs futuristisch-archaisierende „Sternensprache", die zwischen abstrakten Konstruktionen und etymologischen Verdichtungen oszilliert, erfordert eine „alchemistische, mikrosynthetische Übersetzungsmethode" (Pastior), die es ermöglicht, Chlebnikovs spracherneuernde Intentionen ebenso auszudrücken wie seinen Hang zum Geheimnis und zu poetischer Verschlüsselung.
zeitgeschöhn binsgeschülf
uferseet über
da gestein zeitheit liecht
da leichzeit gneislich keit
uferseet unter
zeitgescheit binsgeschöhn
uferseet über
rauschicht geraunt
feurott go feurott
dir zum opfraß travmphahe berühmtal ruttafänger -
solltu eine rotte freier
feurier mir zugesträuben
feurott go feurott!
fleuriote freinis zlugen
eine rotte feurier
daß aus finster nuner jetzen
feuer reggen bogen schlügen
erfahrendse
ischuschterbs
ein schtirren
schtorb
ischuschtamblns schäm
ischugrollans schwieg
ischublindins schtümm
ischutauppns schtein
ischuscheuhasts schwieg ischumühelens schrie
ischudein
ischudeins
Velimir Chlebnikov (Übersetzung Oskar Pastior)