„Was ist wenn ich auf der Autobahn von Wien nach München fahre.
Besonders nachts. Alles bleibt absolut gleich: der Seitenstreifen, die Überholspur, die Leitplanken, die regelmäßige Wiederkehr der Kilometerzähler; und wenn ich endlich aussteige, bin ich wieder in der Stadt. Unterwegs hat sich überhaupt nichts und ingesamt fast nichts verändert - und doch bin ich mit hoher Geschwindigkeit dahingerast und habe ein paar hundert Kilometer hinter mich gebracht. Ist das nun Prozess? Oder ist das Statik?"
(Peter Ablinger)
Peter Ablinger befasst sich nicht allein mit musikalischen Zusammenhängen, sondern versucht, dabei auch unsere Wahrnehmung zu reflektieren.
Insbesondere interessiert er sich für alles, was die Wahrnehmung über- oder unterfordert. Dahinter steht das Interesse für musikalische Phänomene, die einer an diskursiven Erzählstrukturen orientierten Wahrnehmung kaum zugänglich sind.
Zu diesen Phänomenen zählt pauschal gesagt alles, was den Klang als solchen und seinen Charakter betrifft, besonders jedoch das Phänomen der Klangfarbe. So befasst sich Ablinger seit längerem mit dem Versuch, das Klangtotal zu komponieren. Dazu hat er ausgiebig mit den Möglichkeiten elektronischer Klangerzeugung experimentiert.
Für seine jüngsten Kompositionen zentrale Bedeutung hat eine im elektronischen Studio entwickelte Technik der Klangbearbeitung, mit deren Hilfe er ein musikalisches Geschehen aus der zeitlichen Sukzession in die Gleichzeitigkeit transformieren kann. Diese Technik bezeichnet er als Verdichtung, technisch geht es um extrem dichte, kanonartig in sich verschobene Überlagerungen von Klängen (etwa ein Glissandi durch den gesamten Tonraum) zu flächigen Klangstrukturen. Schon mit einem einzigen Instrument entsteht bei hoher Verdichtung ein ans Rauschen gemahnendes Klangtotal in der Farbe des Instruments. Die äußerst dichten Synthesen unterscheiden sich nur in Farbe und Oberflächenstruktur. Je mehr Material verdichtet wird, desto dichter die Struktur des Klanges, bis einzelne Klänge kaum noch zu unterscheiden sind.
Die Zeit, diese grundlegende Dimension unserer Wahrnehmung, hört auf, eine Dimesion der Klangstruktur zu sein. Der Klang scheint in der Zeit still zu stehen. Ablinger spricht vom Hochklappen der Zeit in den Augenblick, Ergebnis seiner Suche nach einer Möglichkeit, die Zeit aufzuheben. So vergegenwärtigt sich in der Verdichtung die Vorstellung von der Klangfülle einer absoluten Gegenwart.
Wahrnehmungspsychologisch sind die Kompositionen des Klangtotals für den Hörer eine Überforderung.
Das musikalische Phänomen besitzt tendenziell unbegrenzen Charakter. Als Gestalt ist es kaum noch zu erfassen, es verschmilzt geradezu mit dem Hintergrund und sogar mit dem Wahrnehmungsfeld selbst.
Die Erfahrungen mit der Verdichtung sind in Ablingers neue Kompositionsreihe mit dem Titel Instrumente und ElektroAkustisch Ortsbezogene Verdichtung (IAEOV) eingegangen. Wie der komplizierte Titel besagt, sind hier auch traditionelle Instrumente beteiligt. Die elektronische Verdichtungstechnik heißt wegen der unmittelbaren Arbeit mit den Klängen „akustisch" und „ortsbezogen", weil sie mit den beteiligten Instrumenten jeweils während des Konzertes eigens erst hergestellt wird. In dieser neuen Kompositonsreihe sind bisher drei Stücke entstanden: Läuterung des Eisens für Saxophon, Klavier und Schlagzeug, Portraits für zwei Violinen sowie das Blaue vom Himmel für Cello. Alle diese Kompositionen haben mehr oder weniger statischen Charakter. Auf diese Weise erlauben sie, ganz allmählich die Eigenarten eines Klangs zu erfassen sowie die merkwürdige räumliche wie musikalische Verschränkung, die sich zwischen den Aktionen des Instrumentalisten und der verdichteten Klangfläche ergeben.