Eating Greens
Eating Greens

Part 1: Religion, Food, Art

1. (lethargical) Reformation

2. Waffiing (sic)

3. Whim and Rigor (homage to Henri Matisse)

Part II: Loose Ends

4. The Title ls Almost As Long As The Piece ltself

5. Ouija (wee-gee) Baby

Part III: Five Chords

6. Bread and Wine

7. Drunk Monk

Ein Bekenntnis: Nach dem ersten Telefonat bezüglich der Uraufführung von „Eating Greens"  wich die anfänglichen Begeisterung bald einer paranoiden Nie­dergeschlagenheit: Warum hatte ich nicht ein Stück wie „X" oder ein Stück wie „V" geschrieben, wobei X und V für die Meisterwerke der europäischen Avantgarde stehen, jene Monolithe des 20. Jahrhunderts, die ich studiert und analysiert hatte. Die selbstgemachte Kri­se begann wieder zu schwinden, als ich bemerkte, dass es nicht notwendiger­ weise schlecht ist, dass mir kein Genre einfiel, in das mein Stück passen könn­te. Und dass es außerdem nicht schlecht ist , dass mein Stück eine individuelle Sensibilität auf eine Weise reflektiert, die meine Lehrer und musikalischen Ahnen nicht zur Gänze goutiert hätten. Selbstverständlich ist das alles ein Problem psychologischer Projektionen: Ich mag „Eating Greens", aber ich bin mir nicht sicher, ob ich es mögen darf. Auf jeden Fall schaffte ich es, trotz des irgendwie einschüchternden Anlasses, einer Uraufführung durch das Chicago Symphony Orchestra, mir treu zu bleiben.

Den Titel habe ich von einem Gemälde, das ich in New Orleans im French Quar­ter in einem afrikanischen Kunstladen gekauft habe. Das war mein erster ech­ter Kunstkauf. Als ich einen Stapel Bil­der von Margaret Leonard durchsah, fiel mir „Eating Greens" auf. Ich mochte es sofort, aber ich erinnere mich, mich zu fragen, darf ich das eigentlich mögen? Zu sehen ist eine drei Generationen umfassende afro-amerikanische Fami­lie, die zum Essen bei Tisch sitzen. Es gibt einen riesigen Herd in diesem Zimmer, ein paar Regale, und eine Tapete mit riesigen Erdbeeren darauf. Auf jedem Teller ein wenig Gemüse und etwas, das ein Stück Brot sein könnte. Der Tisch ist sorgfältig mit Silberbesteck gedeckt, aber alle essen mit ihren Fingern. Die Farben sind schamlos grell, Crayola Farben. Die Perspektive spielt verrückt in vie­ler Hinsicht, in verschiedenen Teilen des Bildes : Kandinsky without the angst". Meine Beschreibung klingt nach Stückwerk, aber irgendwie hat das Bild eine sehr eigene, geschlossene Persönlichkeit und erzählt auf berührende Art und Weise von Religion, Essen und Kunst.

Einige Monate später besuchte ich eine Matisse-Ausstellung im MOMA in New York. Ich kannte seine Bilder von Abbildungen und bewunderte immer schon die Verbindung von kla­ren, formalen Prinzipien und spieleri­schem Gestus, aber die Originale waren dennoch wie eine Erleuchtung. Von ganz nah kann man die Bleistiftlinien sehen, die bei seinen ausgeschnittenen Stücken die Formen vor­ geben. Matisse verfehlt seine Blei­stiftlinien ständig. Und ich stellte mir Matisse vor, als erwachsenen Mann, in seinem Studio vor dieser riesigen Papierkonstruktion. Trotz der kulturellen Differenz zwischen Margaret Leonard und Henri Matisse empfand ich geistige Gemeinsamkeiten zwischen dem Werk beider. Ich würde ihre Kunst als zutiefst spielerisch beschreiben .

Apropos „zutiefst spielerisch" : Thelonius Monk war eine Inspiration für mich während der letzten Jahre. Es gruselt mich richtiggehend, wenn ich ihn durch eine seiner Skalen stolpern höre auf eine Weise, die in den Händen jedes anderen nach einer bloß ausgeführten, rhetorischen Figur klingen würde. In Monks Händen ist es gerade das Stolpern, um das es geht, nicht die Skala. Es ist eine berühren­de und komplexe Ironie darin, wenn man ein sentimentales Legato hört, klanglich ins Leben gerufen durch Monks verqueren, von den Daumen dominierten Stil. Die Ballade wird zu einer irritierenden Wirklichkeit, nicht zu einer ausgeführten, künstlerischen, metaphorischen Form abstrakten Ausdrucks.

Würde ich eine Party geben zu Ehren jener Leute, die, so hoffe ich, etwas von sich in „Eating Greens" ent­decken könnten, würde ich einladen : Margaret Leonard, Henri Matisse, Thelonius Monk, sowie Charles lves, Elliot Carter, Lou Harrison, Ruth Crawford-Seeger, Harry Partch, Conlon Nancarrow und noch andere, die zu jenen amerikanischen Persönlichkeiten zählen, die ich „crackpot Erfin­der" nenne, also jene Amerikaner, die Musik schrieben zwischen rohem Indi­vidualismus und einer gesunden Geringschätzung des „europäisches-Meisterwerk-Syndroms".

Ich hoffe, das Vorangegangene eröffnet einen Raum der Sensibilität für „Eating Greens". Aber für den Fall, dass es nach der Aufführung des Stücks keinen Empfang gibt, auf dem sie mich um Details fragen könnte, nehme ich ein paar der potentiellen Fragen und ihre Antworten vorweg.

Was soll das mit all den Titeln?" Zuerst sollte ich erklären, dass für mich Titel nicht Beschreibung oder Analyse eines Stücks sein sollen, son­dern eher ein Teil des Stücks sind. Der Klang der Worte, die halbheimli­chen Bedeutungen, sogar das Ausse­hen der Worte sollte Teil der Erfah­rung dieses Stücks sein. Sie schlagen eine Einstellung vor, eine Haltung. So wie ich das verstehe, entsteht die Musik, sobald die akustischen Signa­le, die     ich erfand, in Ihrem Körper/Geist prozessiert werden. Die Titel sind ohne Konsequenz und haben persönliche Hintergründe, aber keine geheime Geschichte. Das Stück ist keine Porgrammmusik.

„... und der Pizzadienst in Waffling (sic)"?

Dieser Satz ist eine wilde, dionysi­sche Tollerei. Seine Haltung erinnert mich ein wenig an ein ein wenig zu überschwengliches Beethoven-Scherzo. Das ganze landet in einer einmal zu häufigen Wiederholung des The­mas. Es gibt eine plötzliche Selbst-Bewusstwerdung und das Thema wird abgeschnitten, von der Bühne gejagt durch einen Vaudeville-Scherz.

Betrachtet man im Satz Waffling (sic), auf welche kasperlhafte Weise die Musik von der eröffnenden Fanfare über das cartoonhafte Arrangement von „Here We Go Wassailing" zum Kontrabasssolo keine drei Minuten später kommt, so würde ich sagen, der Pizzadienst, sobald er auftritt, ist eine plausible Antwort auf die Frage:

 

Und was als nächstes? Das Stück entgleist derart, dass es eine gewollte Störung der Konzertetikette geben muss, um zurückzufinden. Auftritt Pizzadienst: Das war die beste Möglichkeit, den Bassisten vom Herum­brüten abzubringen und ihn zurück ins Geschehen zu bringen.

„Stimmte irgendetwas mit der Intonation nicht im Part II: Loose End? Die Oboe und die Solo-Violine im vierten Satz, sowie die Flöte im ersten Satz sind umgestimmt."

„Eating Greens" entstand als Auftrag des Chicago Symphony Orchestra und dauert ungefähr 18 Minuten.

Steven Mackey
Interpret/innen

Radio Symphonieorchester Wien Dirigent: Dennis Russell Davies

Kooperationen

Auftrag des Chicago Symphony Orchestra

Termine
Location
Grazer Congress – Stefaniensaal
Konzert
Österreichische Erstaufführung