Cézanne's Doubt
Cézanne's Doubt Chamber Opera

In einem Brief an Clara Rilke vom 19Oktober 1907, ein Jahr nach Cézannes Tod, schreibt Rainer Maria Rilke, sie erinnere sich doch sicherlich an jene Stelle aus „Malte Laurids", die mit Bau­delaire und seinem Gedicht „Une Cha­rogne" zu tun habe. Er, Rilke, könne nicht anders als zu glauben, dass ohne dieses Gedicht die ganze Entwicklung eines objektiven Ausdrucks, wie er ihn von Cézanne kennen würden, gar nicht beginnen habe können. Und es rühre ihn zutiefst, nun zu lesen, dass Cézanne in seinen letzten Lebensjahren dieses Gedicht auswendig wusste und oft Wort für Wort aufsagte.

Liest man Cézannes eigene Worte, geschrieben einen Monat vor seinem Tod im Alter von 67 Jahren, ergibt sich ein andere Bild: „Ich war in solcher Verwirrung, dass ich für eine Weile glaubte, mein schwacher Wille könne nicht über­ leben ... Nun scheint es mir besser zu gehen und ich sehe deutlicher die Rich­tung, in die meine Studien gehen. Wer­de ich das Ziel erreichen, das ich so intensiv suche und so lang verfolge? Ich lerne noch immer von der Natur und ich denke ich mache langsamen Fort­schritt." Es herrscht ein großer Wider­spruch zwischen Cézannes Selbstzwei­fel und Baudelaires Vertrauen und Humor. Es scheint rätselhaft, welche Bedeutung das Gedicht für Cézanne, der es auswendig aufsagte, gehabt haben kann. Aber auch Baudelaires „Une Charogne" ist nicht zuletzt eine Dekon­struktion des Sehens, ähnlich intensiv wie Cézannes eigene obsessive Versu­che, zu sehen, seine bildnerischen Ver­suche, zu wissen.

Maurice Merleau-Ponty schreibt in seinem Aufsatz „Cezannes Zweifel": „Es ist Cézannes Genie, dass, wenn die Bild­komposition als Ganzes betrachtet wird, perspektivische Verzerrungen nicht als solche wahrnehmbar sind, sondern eher dazu beitragen, - wie in natürlicher Sichtweise - einen Eindruck sich ent­wickelnder Ordnung zu geben, den Ein­druck eines Objekts, das im Akt des Erscheinens sich selbst vor unseren Augen organisiert." Rilke und Merleau­-Ponty beschreiben beide Cézannes Sichtweise, die der der Impressionisten entgegensteht, in deren Gemälden, wie Cezanne meinte, die Objekte unterge­hen und durch die spektrale Auffaltung ihr angestammtes Gewicht verlieren. Merleau-Ponty nimmt die Palette von Cezannes 18 Farben wahr - sechs Rot, fünf Gelb, drei Blau, drei Grün und Schwarz -, um eine andere Intention zu enthüllen: " Die Verwendung von warmen Farben und Schwarz zeigt, dass er das Objekt repräsentiert haben möchte, es hinter der Atmosphäre wiederfinden will." Anstatt den Farbton aufzubrechen „stuft er die Farben ab, eine Folge von chromatischen Nuancen über die Form des Objekts hin und hin zu jenem Licht, das das Objekt empfängt. Die exakten Konturen unter gewissen Umständen auflösend und der Farbe Priorität über den Umriss gebend, ist das Objekt nicht länger von Reflektionen zugedeckt und in den Verhältnissen zur Atmosphäre und zu anderen Objekten verloren: es scheint subtil von innen erleuchtet zu sein, Licht kommt aus dem Objekt, und das Ergebnis ist ein Eindruck von Körperlichkeit und Substanz. Darüberhin­ aus verzichtet Cézanne nicht auf das Vibrieren der warmen Farben, sondern erreicht diese chromatische Empfindung durch die Verwendung von Blau." Besessen und einsiedlerisch wie Cézan­ne war, befand er sich ständig in einem Zustand der Krise und zweifelte, ob die Neuheit seines Malens von Schwierigkeiten mit seinen Augen kommen könn­te, dass also sein ganzes Leben auf einem Defizit seines Körpers begründet sein könnte. Giacometti, in einer Unter­haltung mit James Lord, bezog sich immer wieder auf Cézannes Unfähigkeit ein Gemälde auch nach hunderten von Sitzungen fertigzustellen und schlitzte seine Leinwände auf. Cézannes Stimmungen schwankten unglaublich zwi­schen extremer Arroganz und Verzweif­lung. Sein Freund Zola verließ ihn, ihn als „Versager und Selbstmordkandida­ten" einschätzend.

Die Ähnlichkeiten zwischen Baudelaires Sichtweise der Natur und derjenigen Cézannes, wie Rilke sie feststellte, gehen über die Erfindung von Techni­ken hinaus und betreffen den Kern von künstlerischer Notwendigkeit. In gewis­ser Weise ist das Gedicht eine Verbin­dung zwischen Cezannes künstlerischer Vision und seiner Hinfälligkeit, während er mit sich ins Reine kommen möchte, ein Vorhaben, das durch die zerbroche­ne Beziehung zu Zola erschwert wurde. Denn Zola, reich und berühmt, starb bevor Versöhnung möglich gewesen wäre und hinterließ Cézanne das unbe­endbare Gefühl der Erniedrigung. Am Ende seines Lebens, „Une Charogne" rezitierend/singend streift Cezanne sei­ne Abhängigkeit von Zola ab, versöhnt sich mit sich selbst durch die Hinwen­dung zu seinem Sohn Paul.

 

In „Cézanne's Doubt" erklärt sich Cézanne nicht - er ist. Der Text: vor allem Baudelaire; die Entstehung, das Prozessieren der Bildwelt; und die Ambivalenz und Mehrdeutigkeit der Musik in ihren Klangfarben und in ihrer Tonalität; alles trägt bei zu einem komplexem Bewusstsein - demjenigen Cézannes - das im Zweifel das Erhabene schaut, dessen Zweifel eine Krise des Sublimen/Erhabenen ist. Zwischen Genius und Verrücktheit geht die Zeit zu Ende, zurück bleibt das Sehen. Cézan­nes Zweifel ist eigentlich ein Traum vom Sein.

 

Ein Aas - Une Charogne

Von Charles Baudelaire

 

Denkst du dran, mein Lieb, was jenen Sommermorgen

Wir sahn im Sonnenschein?

Es war ein schändlich Aas, am Wegrand

kaum geborgen

Auf Sand und Kieselstein.

 

Die Beine hochgestreckt nach Art lüster­ner Frauen,

von heißen Giften voll

Ließ es ganz ohne Scham und frech den Leib uns schauen,

Dem ekler Dunst entquoll.

 

Der Himmel blickte still auf dies Gefaul­te nieder,

Wie er auf Blumen schaut.

So furchtbar war der Dunst, Dir schauderten die Glieder

Von Ekel wild durchgraut.

 

Die Fliegen hörten wir summend das Aas umstreichen

Und sahn das schwarze Heer

Der Larven dichtgedrängt den faulen Leib beschleichen,

Wie ein dickflüssig Meer.

 

Und alles stieg und fiel aufsprudelnd, vorwärtsquellend

Nach Meereswogen Art,

Fast schien's, als ob dem Leib, vom fremden Leben schwellend,

Tausendfach Leben ward.

 

Und seltsame Musik drang uns von da entgegen,

Wie Wind und Wasser singt, Wie Korn, das in dem Sieb mit rhythmi­schem Bewegen

Die Hand des Landmanns

schwingt.

 

Die Formen ausgelöscht wie Träume und Legenden,

Entwürfe stümperhaft,

Die halberwischt die Hand des Künstlers muss vollenden

Aus der Erinnrung Kraft.

 

Und eine Hündin lief unruhig dort hinterm Steine,

Uns traf ihr böser Blick, Erspähend den Moment, zu reißen vom Gebeine

Das aufgegebne Stück. -

 

Und doch wirst einstmals du dem grau­en Schmutz hier gleichen,

Dem Kehricht ekelhaft,

Du meiner Augenlicht, du Sonne ohne­ gleichen,

Stern meiner Leidenschaft.

 

Ja, so wirst du dereinst, o Königin der Güte,

Nach letzter Ölung sein,

Wenn du verwesend liegst tief unter Gras und Blüte

Bei schimmelndem Gebein.

 

Dann, Schönheit, sag dem Wurm, der dich zerfleischt mit Küssen,

Wie treu ich sie gewahrt

Die Göttlichkeit des Wesens, das zersetzt, zerrissen,

Von meiner Liebe ward.

 

Cezanne's Doubt

(Libretto von Daniel Rothman)

 

1.

Rappelez-vous l'objet que nous vîme, mon âme,

Ce beau matin d'été si doux:

Au détour d'un sentier une charogne infâme

Sur un lit seme de cailloux,

 

Les jambes en l'air, comme une femme

lubrique,

Brûlante et suant /es poi­sons,

Ouvrait d'une façon nonchalante et cynique

Son ventre plein d'exhalai­sons.

 

Eh, oui, mon eher Emile, I

often think of you...

with infinite joy I would

embrace you.

You've been gone four

years...

 

Le soleil rayonnait sur cette pourriture,

Comme aflín de la cuire à

point,

 

Yes, I stopped seeing you

- with you're fine rugs and

insolent servants

- enthroned like

some old dirty bourgeois...

 

you've grown stu­pid.

 

Et de rendre au centuple à la grande Nature

Tout ce qu'ensemble elle

avait joint;

 

I was your fool, your suicice

Thank you - thank you for

your insight...for your society.

 

II.

Et Je ciel regardait Ja carcasse superbe Comme une fleur s'épanouir.

La puanteur était si forte, que sur l'herbe

Vous crutes vous évanouir.

 

The sun is terrifying...

 

Les mouches bourdonnaient sur ce ventre purride,

Dóu sortaient de noirs batail­lons

De larves, qui coulaient comme un épais liquide

le long de ce vivants hail­lons.

 

Tout cela decendait, montait comme une vague,

Ou s'élancait en pétillant;

On eût dit que le corps, enflé d'un souffle vague,

Vivait en se multipliant.

All went well at

first but it was not long before I found myself

in the dark...perhaps I shall not have time to finish

...must work carefully - how

slowly nature reveals herself...

just as I begin to understand, it all evaporates...

 

Et ce monde rendait une étrange musique,

Comme l'eau courante et le

 

I should make a little hole in

nature and pass through it; a minute of the world passes even as I try to grasp the full reality of what I see.

 

Les formes s'effaçaient et n'etaient plus qu'un rêve,

Un ébouche lente à venir,

Sur la toile oubliée, et que l'artiste achéve

 

Seulement par /e souvenir.

 

III.

Cher Paul,

lf I forgot to write

to you it is because I loose the awareness of time.

The heat is appalling...no air at all...good for nothing but the expansion of metals...l am heavy and slow...

Dark sorro

oppresses me. I see no one, life terrifies me -

Art worde... l paint. I go to church. I paint. I eat. I paint.

 

Derrière le rochers une chienne inquiète Nous regardait d'un æil

fâché,

Epiant /e moment de reprendre au squelettre

le morceau qu'elle avait

lâché

Cher Paul

 

I rely on your gui­dance...

at the end of my strenght...illusions

are no longer permitted.

- Et pourtant vous serez semblable à

cette ordure,

A cette horrible infection,

 

I would like you near me

Etoile de me yeux, soleil de ma nature, Vous, mon ange et ma passi­

on!

 

Oui! telle que vous serez, ô la reine de grâces,

Après le dernieres sacra­ments,

Quand vous irez, sou l'herbe et les floraisons grasses,

Moiser parmi les ossements.

 

Cher Paul, I wait impatiently

for my paint box you've mended;

Cher Paul, add a

palette with a hole large enough...

 

Hurry.

 

Soon a carriage

will take me to the river...there are some large trees

that

form a vault over the water.

 

Alors, ô ma beauté! dites à la vermine Qui vous mangera de baiers,

Qui j'ai gardé la forme et l'essence divine

De mes amours décom­posés!

Daniel Rothman
Interpret/innen

Rothman-Ensemble

Termine
Location
Grazer Congress – Stefaniensaal
Konzert
Uraufführung
Biografien