Weiss/Weisslich 15a+b
Weiss/Weisslich 15a+b

Das Rauschen / Stichworte

Von Peter Ablinger

PROLOG

Zeit - Raum - X

(also: zuerst die Zeit, dann der Raum; was ist das weiterführende und zugleich beide beinhaltende Dritte?)

Ein Begriffstryptichon als Antwort:

Licht

x = Rauschen

vollständige Affirmation

[Notizbücher 90/91)

 

 

VORAUSSETZUNGEN

 

- Die Weiss/Weisslich-Serie (seit 1980)

(: ,,weiße Tasten bis weißes Rauschen")

- Einton- und Allton-Stücke (Instrumen­tal- und Vokalstücke nach „Ensemble")

: Eintonstücke immer reduzierter, Alltonstücke immer dichter;

Wo sie sich treffen: Redundanz

- das Ungeteilte (- statt „Harmonie", statt „Dissonanz")

- die Erfahrung sehr dichter Zustände im Free Jazz

- Rauschlisten (Kataloge aufgenommener Rauschklänge von Instrumenten und aus der Umgebung)

 

BEOBACHTUNGEN

 

- Der Wind: in verschiedenen Getreidesorten, Gräsern und Baumarten;

- Das Wasser: Bäche, Flüsse, Wasserleitungen, Meer, Wasserfall, Regen (Weiss/Weisslich 9, 10 und 11);

- Situationen großer Dichte im Alltag:

- Selbstverlust, Mystik des Alltags" [Notizbuch 1987], Hineinsacken in den Hintergrund, Starre, Stress, Bahnhof, Autobahn, Kaffeehaus;

- Weiss/Weisslich 12 (die Kirchen auf DAT)

: das Rauschen enthält alle Informationen über den Raum, den Ort, Beschaf­fenheit, Gße, Luftfeuchtigkeit, Position im Raum, ...

(Dieses Beinhalten" widerspricht der Gegenüberstellung von Information und Rauschen)

 

ERGEBNISSE

 

- Rauschen: vertikale Serie: 1000 Varianten des Gleichen: gleichzeitig

- Vertikalisierung („Alles Immer"): Nach 1 Jahr kompositorischer Abstinenz begonnener Werkkomplex: IEAOU" (: instrumentale und elektro-akustisch ortsbezogene Verdichtung)Alles was horizontal passiert, wird hochgeklappt in die Vertikale; alles was nacheinander Information ist in jedem Moment: Keine Metapher mehr, sondern präzise technische Formulierung (: Computer : Peter Böhm)

- (Verdichtung: Kondensation)

- Komplementäre Klänge:

(auch als „Weiss/Weisslich", noch ohne Nummer)

Arbeit mit Klängen, die als einzelne noch einen „harmonischen", spektralen Gehalt haben, zusammen genommen aber Rauschen ergeben

(Freiburg, April 95)

- Rauschen + Rauschen = Raum:

„ ... das heißt aber: Wenn R mit R addiert mehr ergibt als R, dann war R noch nicht „alles"! Raum ist weder in R noch in R enthaltenentsteht aber aus der Überlagerung von R mit R. Wenn aber im (weissen) Rauschen noch nicht alles enthalten ist: was ist es dann, das darin fehlt? Was fehlt ? Ist das Komplement zu Rauschen die Illusion?, oder die Stille?"

„Wenn die Phasenverschiebung beim Rauschen hörbar ist, heißt das, dass die verschobene Phase nicht im ursprüngli­chen Rauschen enthalten war. Das heißt, dass das Rauschen nicht alles ist. Die Addition von Alles mit Allem ergibt nicht Alles. Sie ergibt etwas anderes. Da dieses Andere aber eine Verdopplung von Allem ist, ist alles nur die Hälfte des anderen. Alles ist nur die lfte. (Alles existiert so wenig, wie sein Komplement: Nichts: die Stille)"(ebenfalls als Weiss/Weisslich ohne Nummer)

NOCH EINIGE NOTIZEN: ABGRENZUNG VON DER OPPOSITION INFORMATION - RAUSCHEN

Information IST Redundanz:

„Die Tautologie sagt laut Wittgenstein nichts aus über die Welt und hält einerlei Beziehung zu ihr (Tractatus). Ich glaube dagegen, dass die Tautologie das Grundprinzip von Sprache überhaupt ist. Beziehungsweise das Grundprinzip der Beziehung von Sprache und Welt. Jede Beschreibung, Erklärung, Analyse, Definition ist genau in der analogen Weise Verdopplung, Wiederholung, Redundanz wie das die Tautologie auch ist. Etwas entsprechendes gilt auch für „Informa­tion". Es ist nicht so, dass Information das ist, was sich vom Redundanten abhebt. Es ist vielmehr umgekehrt, dass Information ohne Redundanz gar nicht möglich ist. Redundanz hat etwas zu tun mit „Rahmen"; etwas wiederholen heißt, es näher zu fassen kriegen, es fixieren, ausschneiden aus seiner Umge­bung, es rahmen. Auch für „Bedeutung" gilt das Gleiche: Bedeutung und Verdopplung oder Unterstreichung, Hervor­hebung sind ohnehin fast synonym.

Bedeutung, Information, Begreifen sind alles redundanz-abhängige Transforma­tionen dessen, was ist. Aber das was ist, ist das Unbedeutende, Nicht-Infor­mative, Unbegriffene: die Welt, so wie sie uns umgibt und wir in ihr sind."

Der Rahmen:

„Unser Blickfeld ist zu weit, um zu sehen. Unser Leben ist zu viel, um es wahrzunehmen. Sehen und Erkenntnis kommt nur aus der Einengung, Eingrenzung. Wir sehen etwas, wenn wir eine Brille (Sonnenbrille) aufsetzen, wodurch der Rahmen etwas kleiner und die Lichtmengen etwas reduzierter wird, oder manchmal reicht es auch schon, aus dem Fenster zu blicken - oder auch im Geiste durch ein „Fenster" zu blicken, also z.B. sich in einer Land­schaft zu befinden und sie mit den Blicken eines Anderen, einer anderen Situation, eines Gemäldes oder Films zu betrachten. Wir erkennen etwas, sobald wir den Ausschnitt fokussieren, einen­gen, ein Detail beobachten, und Detail heißt, einen Rahmen setzen. Rahmen kann eine Denkweise, eine Methode, ein Kriterium - irgendeine Art von Filter sein ..."

Die Polaroid-Brille:

„Die Welt wird plastischer durch sie. Das heißt aber, dass Plastizität ein Effekt der Reduktion ist, ein Erkenntniseffekt. Keine Wahrheit. Dreidimensionalität ist ein Erkenntnismedium, keine Sache, die selbst Gegenstand der Erkenntnis sein müsste. (Tatsächlich beschäftigen wir uns viel mehr mit dem Medium, als mit dem, wofür es geschaffen wurde.) Vergleiche auch Johann Michael Fischer (* 1692-1766, Rokoko-Architekt, z.B. die Stiftskirchen von Oberbeuren, Zwiefal­ten, Rott am Inn): Er benützt die Per­spektive, um sie zu widerlegen, um den Raum zu desillusionieren. Er benutzt die optische Illusion, um die räumliche Illu­sion (- die, mit der wir alle leben) zu entlarven!"

Figur und Grund:

„Einerseits: Die Dichotomie zwischen Figur und Grund ist - nichts weiter als - die Dynamik. (Das ganze Thema führt nur zu expressiven Kategorien, Gegensatzdenken)

Andererseits: Wenn bisher der Unterschied zwischen Vorder- und Hinter­grund nur durch dynamische Unterschiede formuliert werden konnte, so ist es jetzt möglich, das einzelne Instrument von seiner Fläche durch geringste lntonationsabweichungen zu unterscheiden, die alte Dichotomie ist überwunden."

 

(andere Alternativen zu „Figur und Grund": verschiedene Stadien von Kör­nigkeit bis zur glatten Fläche)

 

SCHLUSS

Rauschen: Sich dem Rauschen stellen: Wörtlich: musikalisch: als Klang: in aller Konsequenz (: Ertrinken): und nicht (nur) als Entgegensetzung von Rauschen und Etwas.

Wenn ich vom Rauschen eine Beethoven-Symphonie abziehe, fehlt: nichts. R bleibt R. Dagegen wenn ich von R einen der in „IEAOU" verdichteten Klänge sub­strahiere, verändert sich die Farbe des Rauschens. Klang und Rauschen sind keine Gegensätze mehr.

(Ende der Stichworte zu „Das Rauschen" von Peter Ablinger)

 

Der Komponist Peter Ablinger ist ein Mystiker der Aufklärung. Seine Anrufungen und Litaneien zielen auf das Erkennen. Die im Erkennen, in der Auf­klärung angelegte Transzendenz ist das Geheimnis seiner monoton klaren Musik. Das Hinwegschreiten in eine andere Wirklichkeit fußt auf der Nicht­wahrnehmbarkeit einer einzigen, das Ganze umfassenden Wirklichkeit. Des­ wegen gerät jede (künstlerische) Beschreibung eines Teiles dieser Wirklichkeit erstens selbst zu einer eigenen Wirklichkeit und zweitens zur Transzen­dierung derselben in jenen Versuch des Alles im Jetzt, der erfolglos bleiben muss. Peter Ablingers Musik formuliert dieses Dazwischen, diesen Aufenthalt an der unmöglichen Bruchstelle zwi­schen Allem und Allem. Es geht nicht um das illusorische Alles von Stille, Raum und Zeit, sondern um das reali­stische Alles von Schweigen, Ort und Augenblick. Peter Ablingers Musik sind Beschreibungsformeln genau dieses Realen.

Ein Reales nicht in espressivo-Kategorien von außen zu beschreiben, sondern die Beschreibung selbst zu einem adä­quaten Realen zu formen, erfordert For­meln, Anrufungen, Litaneien. Denn in der Wiederholung fokussiert sich dieser Blick. Deswegen ist die Litanei der Rah­men zur Wirklichkeitswahrnehmung und eben gleichzeitig wahrzunehmende Wirklichkeit. Dass der Rahmen, durch den Wirklichkeit wahrnehmbar wird, die Wiederholung, die Redundanz ist, bedeutet, dass Tautologie und Redundanz wie ein Filter wirken. Dieser Filter bewirkt Erkennbarkeit und Erkenntnis. Tautologie und Redundanz sind also nicht die strukturellen Feinde von Infor­mation, sondern die Ermöglicher. Höch­ste Redundanz entspricht - auch als mathematische Formel - höchster Infor­mation. Ein mehr an Information als weißes Rauschen kann es demnach anscheinend nicht geben. Das Alles zu beschreiben ist dennoch unmöglich, auch das Rauschen beschreibt nicht alles. Hörend ist das an der akustischen Veränderung bei der Überlagerung zweier Rauschen erkennbar. Um Rau­schen unabkömmlich zu machen, also um seinen Informationswert im Ablingerschen Sinn als das realistische Alles von Schweigen, Ort und Augenblick wahrnehmbar machen zu können, muss ein Filter der Redundanz zu wirken beginnen. Dieser zu suchende Filter macht das Rauschen zum Ausschnitt, zum wahrgenommenen Realen. Die Möglichkeit der Manipulation am Realen ergibt sich aus der Präzision der Substraktion von Rauschen von Rauschen. Erst wenn eine Möglichkeit gefunden ist, ein von einem Rauschen Weggenommenes als Differenz wahrzu­nehmen, wird Reales in diesem Sinn erfahrbar. Das fünfmal gefärbte Rau­schen und die dazwischenliegenden Übergänge von "Weiss/Weisslich 15" sind genau diese erfahrbare Differenz und darin - ebenso wie Litanei und Wie­derholung - die Manipulation am Rea­len. Sie sind Erschaffung einer Wirklichkeit im Bewusstsein des not­wendigen Scheiterns beim Versuch, ein endgültiges Alles, auch nur beschreiben zu können. Es geht nicht um das illu­sorische Alles von Stille, Raum und Zeit, sondern um das realistische Alles von Schweigen, Ort und Augenblick. Peter Ablingers Musik sind Beschreibungsfor­meln genau dieses Realen.

Christian Scheib
Kooperationen

Kompositionsauftrag des musikprotokolls

Termine
Location
Universalmuseum Joanneum – Neue Galerie Graz
Installation
Uraufführung
Biografien