Was die Kompositionen Stefano Gervasonis kennzeichnet, ist einerseits die genaue Beachtung der klanglichen Gegebenheiten - die bei ihm aus einer Vertrautheit mit den avantgardistischen Ästhetiken herrührt - und andererseits die beständige Suche nach einem Sinn, der dem sensiblen musikalischen Material qualitativen Wert verleihen könnte. Dies führt ihn dazu, die verborgensten klanglichen Möglichkeiten der beteiligten Instrumente und deren Ausdruckselemente auszuloten. Auch geringste, unbedeutend scheinende Begebenheiten werden bei Gervasoni Quelle vielfältiger Reize. Seine poetische Sprache weist rohe und schwülstige Gesten von sich, und sein Komponieren befindet sich an der Grenze zum Verzicht auf Unmittelbarkeit. Der „Blick" des Komponisten ist, obwohl immer scharf analytisch, nicht zielgerichtet, sondern divergent, nicht geradeaus gerichtet, sondern schräg.
Das „Concerto pour Alto " - das hier in einer erweiterten und völlig überarbeiteten Version im Vergleich zur Pariser Erstaufführung des Jahres 1994 präsentiert wird - gibt eine gewollt einfache, ja fast knappe Schreibart vor, in der die - allerdings äußerst unterschiedlichen - Gesten auf das Wesentliche reduziert sind; die klangliche Atmosphäre erscheint auf diese Weise zugleich mit Einfachheit und Rätselhaftigkeit ausgestattet. Die Viola, das vielleicht schamhafteste und am meisten introvertierte Instrument des Orchesters, wird dank einer genauen und detaillierten Kompositionsweise in seinen virtuosen Möglichkeiten unterstützt, welche sich im letzten Winkel eines Atemzugs verbergen können oder in der äußersten Raffinesse der Figurationen. Der Dialog mit dem Ensemble - und speziell mit der zweiten Bratsche - besteht aus implizierten Verweisen, aus zarten Steigerungen mikrothematischer und klangfarblicher Natur, wo die Wiederholung eine wichtige Rolle für den zeitlichen Zusammenhalt spielt. Der Ausgangskern des extrem reduzierten Materials besteht aus der Note g, welche zum Gravitationszentrum für die äußerst heterogenen Elemente wird.