The Skin is the Threshold
The Skin is the Threshold für Kammerorchester

The skin is the threshold (wörtlich: ,,Die Haut ist die Schwelle") beschreibt mein Verhältnis zum Material der Musik, des Klanges, wie er Räume schafft von den Räumen, die wir einnehmen und mit denen wir uns beschäftigen.

Musik bedeutet beispielsweise Schallwellen - die Vibration von Molekülen in der Luft - von der wir uns vorstellen können, dass sie nicht greifbare Mauern und Räume schafft, die auf unsichtbare Weise projiziert werden und sich kaleidoskopartig verändern. Wir aber sind nicht immun, und indem diese Wellen uns durchdringen, transformieren sie sich von einer raumschaffenden Energie zu einer raumverändernden. Durchdringung hat etwas Kompromittieren­des. Unsere inneren Räume sind kleiner, dichter und weniger elastisch als die äußeren, die wir bewohnen, und auch wenn sie physisch unversehrt bleiben, werden sie chemisch doch verändert.

Als Mittel, um Klang als Musik erlebbar zu machen, erscheint das Orchester - eine Institution, vor der wir sitzen und zuhören - unglaublich primitiv. Und das umso mehr, als es die Illusion der Komplexität erzeugt, wobei gemäß unserer Tradition verlangt wird, dass nur eine bestimmte Anzahl von Tönen verarbeitet wird und dass diese aufeinander harmonisch abgestimmt sind. Als vor fast hundert Jahren der mexikanische Komponist Julian Carrillo von einem Kontinuum zwischen Halbtönen ausging, war die Oktave plötzlich so unbegrenzt wie das Labyrinth von Borges. Klang ist nomadisch: Die Komplexitäten der Töne werden durch die Vibrationen der Saiten und Rohrblätter erzeugt und werden wiederum verstärkt durch die Klangräume der Resonanzkörper, wie Räume, deren Teil wir werden, indem wir uns ausdehnen; die Obertöne, Subtöne und Differenztöne und deren komplexere Klangfülle wird produziert, indem ihre Räume unterteilt werden. Diese Klangqualität kennt keine klar abgegrenzten Stufen und ist wie das Bindegewebe zwischen Klang und Haut. Ich würde mir daher das Orchester lieber als Kollektiv von Organismen vorstellen, dessen Vibrationen Druck­schwankungen auslösen, die je nachdem größere oder kleinere Quantitäten an Luft in Bewegung versetzen. Die unmittelbare Nähe der solchermaßen in unterschiedlich starke Schwingungen versetz­ten Luft verursacht Palpitationen (Pochen) innerhalb der Räume, die Raum und Zeit zu Trugbildern voneinander machen.

Eine Nuance, eine subtile Modulation von Ton oder Klangfarbe ist - sowohl wegen des Klanges als auch wegen der erzeugten Wirkung - wie das Dehnen der Haut und das Überschreiten der Schwelle. Musik setzt letztlich der Rationalität eine Grenze: Eine kleine Veränderung wird stärker empfunden als eine große, ein lauter Ton wirkt unauffälliger als ein leiser; ein großes Intervall zwischen hohen und tiefen Tönen ist leichter wahrnehmbar als zwei Töne, die nur aufgrund der durch sie gemeinsam produzierten Schwebung wahrnehmbar sind.

The skin is the threshold ist ein Seiltanz, und obwohl es schon Abenteuer genug war, dazu zu kommen, wird  es  wohl  ein Lebenswerk sein, das Gleichgewicht zu  erlernen, bevor man auch den Mut hat, die Aussicht zu genießen.

Daniel Rothman
Interpret/innen

Klangforum Wien
Dirigent: Peter Hirsch

Kooperationen

Kompositionsauftrag der Koussevitzky Music Foundation

Termine
Location
Grazer Congress – Stefaniensaal
Konzert
Uraufführung