Mauerwerk ist eines von zwei exkorporierbaren Stücken - das andere ist das Schlagzeugstück Stahl - aus dem weitaus umfangreicheren Werk ex cathedra - ex tempore - ex machina - für sieben Blechbläser und zwei Schlagzeuger. Die gesamte Trilogie bildet zusammen den Werkzyklus Shelter.
Obschon die Textur von Mauerwerk sowohl als eigen ständiges Werk als auch innerhalb ex cathedra nahezu identisch ist, funktionalisiert sie in beiden Fällen völlig unterschiedliche, zum Teil auch gegensätzliche kompositorische Strategien. Bilden in letzterem Fall Paraphrasierung und Prozessualisierung einer latenten tenuto-Ebene der initialen Schlagzeugkaskaden den Ansatzpunkt für die kompositorische Arbeit, so geht es in Mauerwerk als selbständigem Opus um verschiedene Formen von Begrenzung und deren Durchlässigkeit.
Die äußerste Ebene bildet hierbei die räumliche Disposition der Schallquellen. Die sechs Musiker, axialsymmetrisch um das Auditorium angeordnet, verdoppeln quasi die realen Mauem des Konzertsaals. Im Gegensatz zu diesen sind die akustischen allerdings flexibel, was bedeutet, dass Distanzen, Abmessungen, Massenverteilungen und Dichteverhältnisse innerhalb des eingeschlossenen Raumes variabel und ständigen Veränderungen unterworfen sind. Für den Zuhörer, seinerseits an einen bestimmten Punkt im Raum gewissermaßen festgenagelt, sind die akustischen (wort-wörtlich) Rahmenbedingungen eine Quelle der permanenten Modifikation seiner Wahrnehmungsperspektive. (Idealiter führt das dazu, dass er sich selber als bewegliches Glied innerhalb eines klingenden Organismus wiederfindet.)
Vergleichbares ist auf allen Parameterebenen nachweisbar. Die Strategie ist dabei denkbar einfach: Die Fesseln auf einer Ebene sind jeweils so eng angelegt, dass sie derart nachhaltigen Einfluss auf eine andere ausüben, dass dort Bereiche zugänglich werden, die ohne solche Begrenzung verschüttet blieben. Exemplarisch sei hier ein ohrenfälliges Beispiel angeführt: Beinahe das gesamte Tonhöhengeschehen ist auf denjenigen Bereich eingeengt, der dem gesamten Instrumentarium (Hörner, Trompeten, Posaunen) zugänglich ist. Das aber hat zur Folge, dass - im Verhältnis zu ihrem eigenen, instrumentenspezifischen Ambitus - die Trompeten ständig „zu tief", die Posaunen aber überwiegend „zu hoch" zu spielen haben. Dies bedeutet, dass der üblicherweise mit den genannten Instrumenten identifizierte Idealklang nur in Ausnahmesituationen in Erscheinung tritt, was wesentlichen Einfluss auf die Klangfarben in diesem Stück hat.
Daraus wird möglicherweise verständlich, dass, was momentan als wechselseitige Sabotage zwischen den Parameterebenen anmuten mag, tatsächlich in dem Sinn auch konstruktiv wirkt, als es die Grenzen zwischen ihnen transparent werden lässt oder im Extremfall auch demontiert. Entscheidend ist nicht dies und jenes oder hier und dort, sondern in gleichem Ausmaß auch das sie Verbindende. In anderen Worten: Die Präsenz von etwas, was ist, ist nicht von größerer Bedeutung als die Präsenz dessen, was damit geschieht oder was es geschehen macht.