In Szenen aus einem Roman vergegenwärtigt Kurtág den Zerfall der Werte (obwohl dies hier nicht thematisch, sondern nur angedeutet ist) mit einer dermaßen großen künstlerischen Kraft, dass hinter der Tragödie des Beraubtseins von der Möglichkeit der Geschichtsformung, hinter der emotionellen Entwindung, der „Geworfenheit" in die Welt sich bereits das bloße Sein auftut, jene absurde Welt, die uns aus S. K. gut vertraut ist. Allerdings gibt es für Kurtág kein richtiges Aufgehen im Nichtsein; seine Kunst kennt nicht die Flucht vor der Wirklichkeit. So wird auch dieses Werk zu einem mächtigen Schrei nach Liebe. Im Roman übernimmt Kurtág die gleiche Rolle wie Tarkowskijs Stalker: Er führt uns in die verbotene Zone hinüber, die diesmal nichts anderes als unser Leben ist, unser gegenwärtiges Dahinvegetieren, unter einem Aspekt jedoch, der aus der Perspektive des selbstgenügsamen Alltags überhaupt nicht sichtbar ist. Wir befinden uns in der verbotenen Zone, wo wir mit uns selbst konfrontiert sind. Diese Musik trägt, Tarkowskijs Filmen ähnlich, den Imperativ des „höchstmöglichen moralischen Kraftaufwands".
Die Pole sind in Kurtágs Roman äußerst breit gespannt. Angefangen von der Transzendenz bis hin zu einer sehr bewusst dargestellten Prosa, die jedoch kein „Effekt" ist, sondern Komponente des Weltbildes. Die Betrachtungsweise Kurtags ist hier grundlegend tragisch; auch die Groteske gliedert sich darin ein. Darauf beruht die Struktur: Kurtag lässt den Bogen des Werkes vom transzendenten Weltempfinden bis zum frech grotesken Bild des Straßenwalzers ,,hochlaufen". Gleichwohl ergibt die Gleichzeitigkeit vielerlei beschaffener Komponenten keinen eklektischen Wirrwarr, sondern gerade im Gegenteil: ständige Hochspannung. Zugleich umschwebt eine eigenartige Märchen- und Traumhaftigkeit dieses Werk; die Bilder sind bald surrealistisch, bald so klar, fast hyperrealistisch, wie es sie nur im Traum gibt, bald so verschwommen, als würde man alles durch den Nebelvorhang der Erinnerung wahrnehmen.
1. Komm
Komm,
ich strecke meine Hand aus.
Mit meiner Wärme
verjag' ich deine Kälte.
Oh, wie lange schon
bewahre ich in Winkeln meiner Seele
unnützte Groschen.
2. Von der ersten Begegnung bis zur Trennung (Verzweifelte Klage)
Von der ersten Begegnung
bis zur Trennung,
vom Abschied
zum neuen Erwarten
verfloss mein Frauendasein.
3. Flehen (Hommage à László Kalmár)
Verzeiht mir, ihr Barmherzigen,
meine weibliche Schwäche,
dass ich diesen Narren
im Geiste gewählt.
4. Lass mich
Lass mich
dich anrühren,
in dir auftauen, mich völlig auflösen.
5. Abzählvers (Hommage à Mahler)
Immer war ich wählerisch,
immer hab ich was versäumt,
schließlich wurde mir zuteil
diese schön zerfetzte Liebe.
6. Traum
Immer derselbe Traum;
ich bitte um deine Nähe.
Du kommst mir näher -
ich stoße dich fort.
7. Rondo
Ich sagte, das ist doch nicht möglich,
ich wiederholte, das ist bald vorbei,
ich wiederholte, ich wiederholte ...
Im Nebel jener Tage
gibt's keine Morgenröte mehr,
jenseits der Glücksaugenblicke
kein Schmerz der Trennung.
Wir erlebten das Glück,
erlebten die Trennung.
Ich sagte, das ist doch nicht möglich,
ich wiederholte, es ist bald vorbei,
ich wiederholte, ich wiederholte ...
8. Nackt
Ich bedecke meine Seele
mit einem Feigenblatt
und flüchte aus dem Paradies.
9. Walzer für Leierkasten (Hommage à Alfred Schnittke)
Auch im Spitzenverkehr
rollt ungestört
die Straßenbahn meiner Seele.
10. Märchen
Ich sollte dir
als Göttin erscheinen
im Glanz des Sternenhimmels,
doch musst' ich die Tür öffnen,
schlampig wie ich war,
einen Besen in der schmutzigen Hand.
11. Wieder
Wieder erwarte ich dich.
Wie lange noch
bis übermorgen.
12. Unendliche Sonntagsreihe (Perpetuum mobile)
Und wieder
ist ein Sonntag vorbei.
Es heißt, es folgt der nächste.
13. Besuch
In der Schneehülle weißer Kälte
kam als Gast
der Kummer zu mir.
14. Geschehenes
Empfangen
in der Hast des Frühlings
siecht
die Liebe dahin.
Aber in deinem Garten
wächst
das Gras
des Vergessens.
15. Epilog (Zaghafte Klage)
Von der ersten Begegnung
bis zur Trennung,
vom Abschied
zum neuen Erwarten
verfloss mein Frauendasein.
T. Tóth
Übersetzung von György Dalos