Szenen aus einem Roman
Szenen aus einem Roman 15 Lieder auf Gedichte von Rimma Dalos für Sopran, Violine, Kontrabass und Cymbal, op. 19 (1981/82)

In Szenen aus einem Roman vergegenwärtigt Kurtág den Zerfall der Werte (obwohl dies hier nicht thematisch, sondern nur angedeutet ist) mit einer dermaßen großen künstlerischen Kraft, dass hinter der Tragödie des Beraubtseins von der Möglichkeit der Geschichtsfor­mung, hinter der emotionellen Entwindung, der „Geworfenheit" in die Welt sich bereits das bloße Sein auftut, jene absurde Welt, die uns aus S. K. gut vertraut ist. Allerdings gibt es für Kurtág kein richtiges Aufgehen im Nichtsein; seine Kunst kennt nicht die Flucht vor der Wirklichkeit. So wird auch dieses Werk zu einem mächtigen Schrei nach Liebe. Im Roman übernimmt Kurtág die gleiche Rolle wie Tarkowskijs Stalker: Er führt uns in die verbotene Zone hinüber, die diesmal nichts anderes als unser Leben ist, unser gegenwärti­ges Dahinvegetieren, unter einem Aspekt jedoch, der aus der Perspektive des selbstgenügsamen Alltags überhaupt nicht sichtbar ist. Wir befinden uns in der verbotenen Zone, wo wir mit uns selbst konfrontiert sind. Diese Musik trägt, Tarkowskijs Filmen ähnlich, den Imperativ des höchstmöglichen moralischen Kraftaufwands".

Die Pole sind in Kurtágs Roman äußerst breit gespannt. Angefan­gen von der Transzendenz bis hin zu einer sehr bewusst dargestell­ten Prosa, die jedoch kein Effekt" ist, sondern Komponente des Weltbildes. Die Betrachtungsweise Kurtags ist hier grundlegend tragisch; auch die Groteske gliedert sich darin ein. Darauf beruht die Struktur: Kurtag lässt den Bogen des Werkes vom transzendenten Weltempfinden bis zum frech grotesken Bild des Straßenwalzers ,,hochlaufen". Gleichwohl ergibt die Gleichzeitigkeit vielerlei beschaffener Komponenten keinen eklektischen Wirrwarr, sondern gerade iGegenteil: ständige Hochspannung. Zugleich umschwebt eine eigenartige Märchen- und Traumhaftigkeit dieses Werk; die Bilder sind bald surrealistisch, bald so klar, fast hyperrealistisch, wie es sie nur im Traum gibt, bald so verschwommen, als würde man alles durch den Nebelvorhang der Erinnerung wahrnehmen.

 

 

1. Komm

Komm,

ich strecke meine Hand aus.

Mit meiner Wärme

verjag' ich deine Kälte.

Oh, wie lange schon

bewahre ich in Winkeln meiner Seele

unnützte Groschen.

 

2. Von der ersten Begegnung bis zur Trennung (Verzweifelte Klage)

Von der ersten Begegnung

bis zur Trennung,

vom Abschied

zum neuen Erwarten

verfloss mein Frauendasein.

 

​​​​​​​3. Flehen (Hommage à László Kalmár)

Verzeiht mir, ihr Barmherzigen,

meine weibliche Schwäche,

dass ich diesen Narren

im Geiste gewählt.

 

​​​​​​​4. Lass mich

Lass mich

dich anrühren,

in dir auftauen, mich völlig auflösen.

 

 

​​​​​​​5. Abzählvers (Hommage à Mahler)

Immer war ich wählerisch,

immer hab ich was versäumt,

schließlich wurde mir zuteil

diese schön zerfetzte Liebe.

 

​​​​​​​6. Traum

Immer derselbe Traum;

ich bitte um deine Nähe.

Du kommst mir näher -

ich stoße dich fort.​​​​​​​

 

7. Rondo

Ich sagte, das ist doch nicht möglich,

ich wiederholte, das ist bald vorbei,

ich wiederholte, ich wiederholte ...

Im Nebel jener Tage

gibt's keine Morgenröte mehr,

jenseits der Glücksaugenblicke

kein Schmerz der Trennung.

Wir erlebten das Glück,

erlebten die Trennung.

Ich sagte, das ist doch nicht möglich,

ich wiederholte, es ist bald vorbei,

ich wiederholte, ich wiederholte ...​​​​​​​

 

8. Nackt

Ich bedecke meine Seele

mit einem Feigenblatt

und flüchte aus dem Paradies.

 

​​​​​​​9. Walzer für Leierkasten (Hommage à Alfred Schnittke)

Auch im Spitzenverkehr

rollt ungestört

die Straßenbahn meiner Seele.

 

​​​​​​​10. Märchen

Ich sollte dir

als Göttin erscheinen

im Glanz des Sternenhimmels,

doch musst' ich die Tür öffnen,

schlampig wie ich war,

einen Besen in der schmutzigen Hand.

 

​​​​​​​11. Wieder

Wieder erwarte ich dich.

Wie lange noch

bis übermorgen.

 

​​​​​​​12. Unendliche Sonntagsreihe (Perpetuum mobile)

Und wieder

ist ein Sonntag vorbei.

Es heißt, es folgt der nächste.

 

​​​​​​​13. Besuch

In der Schneehülle weißer Kälte

kam als Gast

der Kummer zu mir.

 

14. ​​​​​​​Geschehenes

Empfangen

in der Hast des Frühlings

siecht

die Liebe dahin.

Aber in deinem Garten

wächst

das Gras

des Vergessens.

 

 

​​​​​​​15. Epilog (Zaghafte Klage)

Von der ersten Begegnung

bis zur Trennung,

vom Abschied

zum neuen Erwarten

verfloss mein Frauendasein.

 

T. Tóth

Übersetzung von György Dalos

lstván Balázs
Interpret/innen

Sopran: Christine Whittlesey
Cymbal: Márta Fábián
Violine: Mathias Tacke
Kontrabass: Thomas Fichter

Termine
Location
Grazer Congress – Kammermusiksaal
Konzert
Biografien