musikprotokoll 1989

Quer durch das Programm des Musikprotokolls zieht sich ein roter Faden: das Percussion-Project Robyn Schulkowsky. Vier Komponisten haben sich in den dafür geschriebenen Werken mit dem Thema Revolutionäre Prozesse auseinandergesetzt. Werke wie Kondukt/-Sprengung (Richter de Vroe), Karawane (Hölszky), Melodram (Schedl) und Zerstäubungsgewächse (Haas) formulieren Träume, Ängste und Obsessionen, die sich diese Komponisten von revolutionären Veränderungen, von zäsurartigen Umschwüngen machen. Zahlreiche Diskussionen begleiteten den spannenden und abenteuerlichen Programmierungsprozeß. Keine Revolutionsfolklore sollte evoziert werden. Die Suche galt (und gilt) vielmehr jenen Kraftfeldern, wo bestehende Bewußtseinsvorstellungen überschritten werden. Wie schlagen sich revolutionäre Prozesse (in politischer, gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Hinsicht) im Bewußtsein der Komponisten sowie in den von ihnen geschriebenen Werken nieder?
Der Komponist kann heute - anders als noch vor 20 Jahren - nicht mehr daraufzählen, an einem kollektiven Prozeß zu partizipieren, der seinen Visionen eine gleichsam überpersonale Rückendeckung verleiht. Dem aufmerksamen Betrachter präsentiert sich kein Hauptstrom mehr, vielmehr ein unübersichtliches Panorama unter schiedlichster Personalstile. So werden die unterschiedlichen Stand ortbestimmungen zu den revolutionären Prozessen zum Reflex der Situation des Komponierens heute.

Charles Ives imaginierte vor etwa 70 Jahren Entwürfe, die den Rahmen des isolierten Kunstwerks weit sprengen sollten. Live Pulse Prelude ist Bestandteil seines wohl utopischsten Projekts, der Universe Symphony, eines kompositorisch-gesellschaftlichen Gesamtkunstwerks, das den engen Rahmen des Konzertsaals sprengen sollte. Daß seinem Ansatz die Nichtverwirklichbarkeit essentiell eingeschrieben ist (Gerhard Koch), schlägt eine perspektivische Brücke zur heutigen Situation. Doch das Szenario hat sich qualitativ verändert. Es ist bezeichnend, wenn Rolf Riehm Revolution als eine gewaltige Produktionsstätte von Entfernungen definiert, während etwa Martin Fischer und Georg Friedrich Haas mit unter schiedlichen Akzenten dezidiert pessimistisch argumentieren.
Während Gerhard Schedl auf die ungebändigte Lust am Subjektiven abzielt, definiert Hubert Stuppner revolutionäre Prozesse nicht nur als Synonym für Sezession, sondern insistiert darauf, daß in Zeiten obligaten Fortschritts auch dessen Gegenteil, nämlich Regression revolutionär. Wenn sein Credo nun in der scheinbar paradoxen These kulminiert, daß revolutionär auch sei, an der Revolution selbst irre zu werden, so wird daraus ersichtlich, welch qualitativen Veränderungen die Reflexionen revolutionärer Prozesse in jüngster Zeit unterworfen sind.

Andererseits fordert Adriana Hölszky von sich eine ständige und kritische Reflexion und einen tiefgreifenden Wandel im Umgang mit dem Material und, unter dem Aspekt der revolutionären Prozesse, eine Intensivierung der anders erlebten Ganzheit sowie eine maximale Sensibilisierung der Wahrnehmungsfähigkeit gegenüber der realen Welt. Giacinto Scelsi wiederum hat sich in den 50er Jahren von der abendländischen Tradition des Komponierens verabschiedet - auch dies ein revolutionärer Prozeß. Hans Zender dagegen setzt sich in seinen Dubliner Nachtszenen wesentlich damit auseinander, welch großen Veränderungen der Begriff der Individuation und der Subjektivität unterworfen ist. Es geht darin um den Konflikt von Natur und Naturbeherrschung in jedem Ich, um den Aufeinanderprall der unterschiedlichsten Zeitschichten in jedem Einzelnen. Von einer ganz anderen Position her kommend, fragt Zender in der seinen Dubliner Nachtszenen zugrunde liegen den Oper Stephen Climax letztlich nach jener Intensivierung der anders erlebten Ganzheit (Hölszky), ohne darauf eine Antwort geben zu können und zu wollen. Die kompositorischen Landschaf ten präsentieren sich also in einer unübersichtlichen und faszinierenden Vielschichtigkeit. Der Hörer aber, der sich der Faszination labyrinthischen Suchens nicht verschließt, wird viel entdecken können.