Das dreisätzige Chorwerk wurde 1982 komponiert und Eric Ericson gewidmet, der die Stücke 1983 in Stockholm mit dem schwedischen Rundfunkchor uraufführte. Hölderlins Dichtkunst erweckte schon seit vielen Jahren intensive musikalische Vorstellungen in mir: vor allem die grandiosen, phantasmagorischen und mit Emotionen übersättigten Bilder seiner poetischen Sprache haben mich stark beeindruckt. Assoziationen zu Bildern spielten ebenfalls eine Rolle. So ist Altdorfers Alexanderschlacht (in der Alten Pinakothek in München) mit dem grandiosen Wolkenhintergrund, zerfetzt, von Sonnenstrahlen durchbohrt, eines meiner größten künstlerischen Erlebnisse. Die purpurne Wolkenlandschaft in Hölderlins „Abendphantasie", für mich assoziativ mit dem Wolkenhimmel Altdorfers verbunden, gab die „Initialzündung" für die musikalischen Einfälle. In diesen Chorstücken vertonte ich nicht die ganzen Gedichte, sondern nur Textfragmente, und zwar diejenigen, die in mir musikalische Vorstellungen erweckten. Was für mich in Hölderlins Kunst das Wesentlichste ist, ist die Spannung zwischen gezügelter, fast klassizistischer Form (antike Metrik, Balance der Sprache) und exzessiv emotionellem sprachlichen Inhalt.
Die drei Hölderlin-Phantasien gehören - mit dem Trio für Violine, Horn und Klavier, mit den Chorstücken „Ungarische Etüden" und mit einem Klavierkonzert- zu einer neuen Phase in meinem Komponieren (seit 1982). Ich stelle mir eine stark affektive, kontrapunktisch und metrisch sehr komplexe Musik vor, labyrinthhaft verästelt, mit durchhörbaren melodischen und harmonischen Gestalten, doch ohne jeglichen „Zurück-zu"-Gestus, nicht tonal, doch auch nicht atonal. Ich habe noch keinen Namen für die Bezeichnung dieser kompositorischen Richtung und suche auch keinen Namen. Was mir vorschwebt, ist eine vergeistigte, stark verdichtete Kunstform. Ich suche, jenseits aller Modernität, etwas von unserem heutigen Lebensgefühl in Musik neu entstehen zu lassen.
Hälfte des Lebens
Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
(Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser).
Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
Wenn aus der Ferne (Fragment)
Wenn aus der Ferne, da wir geschieden sind, Ich dir noch kennbar bin, (die Vergangenheit
O du Theilhaber meiner Leiden!
Einiges Gute bezeichnen dir kann,)
So sage, wie erwartet die Freundin dich? In jenen Gärten, da nach entsezlicher Und dunkler Zeit wir uns gefunden?
(Hier an den Strömen der heilgen Urwelt.
Das muss ich sagen, einiges Gutes war In deinen Bliken, als in den Fernen du
Dich einmal fröhlich umgesehen
Immer verschlossener Mensch, mit finstrem
Aussehn.) Wie flossen Stunden dahin, wie still
War meine Seele über der Wahrheit dass
Ich so getrennt gewesen wäre?
(Ja! ich gestand es, ich war die eine. Wahrhafftigt wie du alles Bekannte mir
In mein Gedächtnis bringen und schreiben willst,
Mit Briefen, so ergeht es mir auch
Dass ich Vergangenes alles sage.)
Wars Frühling? war es Sommer? die Nachti gall
Mit süßem Liede lebte mit Vögeln, die Nicht ferne waren im Gebüsche
Und mit Gerüchen umgaben Bäum' uns.
(Die klaren Gänge, niedres Gesträuch und Sand
Auf den wir traten, machten erfreulicher Und lieblicher die Hyacinthe
Oder die Tulpe, Viole, Nelke.
Um Wänd und Mauern) grünte der Epheu,
grünt'
Ein seellg Dunkel hoher Alleen. Offt
Des Abends, Morgens waren dort wir
Redeten manches und sahn uns froh an.
(In meinen Armen lebte der Jüngling auf,
Der, noch verlassen, aus den Gefilden kam,
Die er mir wies, mit einer Schwermuth, Aber die Nahmen der seltnen Orte
Und alles Schöne hatt' er behalten, das
An seeligen Gestaden, auch mir sehr werth
Im heimatlichen lande blühet
Oder verborgen, aus hoher Aussicht,
Allwo das Meer auch einer beschauen kann, Doch keiner seyn will, Nehme vorlieb, und denk
An die, die noch vergnügt ist, darum, Weil der entzükende Tag uns anschien,
Der mit Geständnis oder der Hände Druk
Anhub, der uns vereinet.) Ach! wehe mir! Es waren schöne Tage. Aber
Traurige Dämmerung folgte nachher.
(Du seiest so allein in der schönen Welt Behauptest du mir immer, Geliebter! das Weist aber du nicht,)
Abendphantasie
(Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sizt Der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Heerd.
Gastfreundlich tönt dem Wanderer im
Friedlichen Dorfe die Abendgloke.
Wohl kehren izt die Schiffer zum Hafen auch,
In fernen Städten, fröhlich verrauscht des Markts
Geschäfft'ger Lärm; in stiller Laube
Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.
Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh' und
Ruh'
Ist alles freudig: warum schläft denn Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?)
Am Abendhimmel blühet der Frühling auf;
Unzählig blühn die Rosen und ruhig scheint
die goldne Welt; o dorthin nimmt mich Purpurne Wolken! und möge droben
In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb' und Leid'! -
Doch, wie verscheucht von thöriger Bitte,
flieht
Der Zauberer: dunkel wirds und einsam (Unter dem Himmel, wie immer, bin ich-)
Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt
Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du
ja,
Du ruhelose, träumerische!
Friedlich und heiter ist dann das Alter.
Die in Klammern gesetzten Teile wurden für die Komposition nicht berücksichtigt