Im Werkverzeichnis von Olivier Messiaen - dem „seit Debussy folgenreichsten Komponisten Frankreichs", wie man ihn zu Recht genannt hat - stehen die „Cinq rechants pour 12 voix mixtes" vom Dezember 1948 unmittelbar vor dem Klavierstück „Mode de valeurs et d'intensités"; jener ersten nach Tonhöhen, Tondauern, Anschlagsarten und dynamischen Werten streng seriell durchkonstruierten Komposition. Von der die serielle Schule der fünfziger Jahre ihren Ausgang nahm und der Messiaen seine entscheidende Brückenstellung zwischen dem späten Webern und der Generation seiner Schüler Stockhausen, Boulez, Xenakis u. a. verdankt.
Manches an den „Cinq Rechants" mutet wie eine unmittelbare Vorstufe zu diesem Werk an, vor allem deshalb, weil jedes von ihnen einen jeweils eigenen Vorrat von verschiedenen Tondauern verwendet, 16 das erste, nur 5 das zweite und so fort. Melodisch und harmonisch werden, wie es bei Messiaen die Regel ist, ,,Modi" verwendet; Tonleitern, die aus phantasievoll angeordneten Halb- und Ganz tonschritten zusammengestellt sind und damit bewusst verschiedenen exotischen Vorbildern, vor allem den indischen Ragas, folgen. Vogelstimmen - sonst Messiaens liebstes Forschungsobjekt - klingen hingegen nur ganz vereinzelt an. Formal deutet der Titel auf die mittelalterlich-provencalische „Alba" hin, ein Refrainlied, von dem Messiaen den Aufbau der einzelnen Sätze entlehnt hat: Die mit „Rechant" überschriebenen Abschnitte stellen jeweils den unveränderten Refrain dar, während die „Couplets" die mehr oder minder variierten „Strophen" bilden. Vereinzelt kommt eine „lntroduction" oder eine Coda hinzu.
„Cette œuvre est un chant d'amour", schreibt Messiaen im Vorwort. Der selbstverfasste Text deutet in vagen Umrissen den Mythos von Tristan und lsolde an; den surrealen französischen Satzfetzen ist eine „imaginäre, pseudo hinduistische" Sprache gegenübergestellt, wobei die beiden Elemente in ihrer Realitätsferne wie in ihrem Übergang zu rein phonetischem Klang konvergieren. Auch diese Vorgangsweise ist durch indische Vorbilderbe legt: ,,Im Samaveda ... löst die Melodie sich vollkommen von den Worten los und scheint ein ganz autonomes Dasein zu führen; ... der ursprüngliche, rationale Sinn der Worte wird also vollkommen vernichtet" (A. Blake).
Und schließlich besteht - wie auch sonst Messiaen seine Werke stets in ein reiches Netz von gedanklichen und emotionellen Beziehungen einzuspannen liebt - ein Zusammenhang zwischen den „Cinq rechants" und Claude le Jeune, jenem französischen Renaissancekomponisten, der in seiner „Musi que mesuree" den Rhythmus der homophon gesetzten Stimmen dem Versmaß unterordnete. Ähnliche Passagen finden sich häufig in der vorliegenden Komposition, die dem großen französischen Chordirigenten Marcel Couraud gewidmet ist.