Christophers Garten
Christophers Garten Fünf tödliche Lobgesänge auf die Ferne für 3 Schauspieler, 2 Instrumentalisten, Bühnenbilder und Tonband

Amerika - Eine Verlustmeldung

Zum Musiktheater "Christophers Garten"

Entdeckung ist immer auch Verlust. Um wieviele Landstriche wurde die Phantasie nicht ärmer, als es 1492 aus dem Krähen­nest der „Santa Maria" schrie: ,,Land in Sicht!" Seit ewigen Zei­ten hatten wir uns jene fliehenden Reiche des Horizonts genau ausgemalt, seine Bevölkerung bis in alle Einzelheit entworfen: Menschen mit Wolfs- oder Vogelköpfen, mit einem Auge nur oder mit den Sinnesorganen in der Brust, so dass der Körper selbst Kopf war. Doch kaum hatten wir den Horizont konkret festgenagelt, blieb von alledem nichts mehr. Gemessen an unse­ren Erwartungen, war die Neue Welt menschenleer.

Das hätte als Verlust schon ausgereicht. Doch dann gingen die Entdecker sich selbst noch durch die Lappen, schmolz und tropfte ihnen das eigene Ich aus den Klamotten. Der eigenen Zersetzung konnte nur Halt geboten werden durch die Konstruk­tion des Fremden, gegen das die eigene Identität sich stauen konnte in Hass und Verachtung. So wurde die Neue Welt zur ersten, die wir aus eigenen Stücken geschaffen haben. Wir selbst bildeten den Steinbruch fürs exotische Mosaik. Die in der sengenden Sonne aufblitzenden Scherben, wir gewannen sie in den Stollen unserer Angst. Ausbuddeln heißt das Zauberwort des Kolonialismus, das Zersetzende aus Dir herausbaggern, um aus Schutt und Schlamm fremdes Leben zu formen, das, wie ein Virus, erst einmal isoliert werden muss, bevor es getilgt werden kann.

War das Entdecken ein Verlorengehen, so war die Vernichtung unzähligen Lebens dessen Zeugung. Das Gekreisch der Sterben­den verwandelte den neuen Kontinent in einen einzigen Kreiß­saal. (Oder hängt der Globus etwa nicht schräg in seiner Achse seitdem, aus dem Lot geraten ob der Menschenvermehrung?)

In Christophers Garten wird das Theater selbst zu einem Ort der Ferne. Als wäre das, was sich da abspielt, eigentlich ganz woan­ders. Es ist ein Spiel vom Verlorengehen für drei Schauspieler, zwei Instrumentalisten, drei Bühnenassistenten und Tonband. Die Musik hat zwei Ebenen, eine instrumentale und eine elektro­akustische. Beide tragen das Wundmal des Exotischen. Typisch europäische Instrumente wie Tuba und Akkordeon mischen sich mit afrikanischen Trommeln, dem indischen Handharmonium , dem australischen Didgeridoo. Die Tonbandmusik greift auf exemplarische Beispiele des musikalischen Exotismus zurück wie Ravels Shéhérazade, Mahlers Lied von der Erde oder Cages Sonatas and lnterludes, deren ohnehin schon künstliche „Klänge der Ferne" durch digitale Bearbeitung in noch größere Weite getrieben wurden.

So ist eine enge Verkettung zwischen Musik und Bühne ange­legt, nicht nur, indem die theatralischen Abläufe mit Songs und anderen musikalischen Einlagen durchsetzt sind, sondern weil darüberhinaus  bis zu den engen Verschränkungen des „Melodrams" gegangen wird, um so eine Dialektik des Femen und Nahen auch auf der formalen Ebene als enge Verschwiste­rung zwischen Musik und Szene zu erreichen.

Christophers Garten setzt sich aus fünf Teilen zusammen: 1. Gesang vom Verschwinden (worin eine ganze Schiffsladung Leute sich mutwillig von der Erde herunterstürzt) -  2. Gesang vom Verlorengehen (worin ein für allemal der Horizont festgena­gelt wird) - 3. Gesang von der mutwilligen Verwilderung (worin die kühnen Entdecker zu schmelzen anfangen und als Gegenmi­ttel das Fremde erfunden wird) - 4. Gesang der Schlächter im Zaubergarten (worin die massenhafte Vermehrung des Fremden die Gestalt eines rhapsodischen Gemetzels annimmt) - 5. Gesang vom Heimkehren (worin mehr verloren geht als die Apo­theose).*)

„Tödliche Lobgesänge auf die Ferne" heißen die fünf Akte, weil sie zwangsläufig das Legato des Verbrechens durchzieht. Was anderes war zu erwarten als dieses verführerische Arioso der Schlächter, zu dem ein ganzer Kontinent als Notenpapier herhal­ten durfte, damals - und zur Feier wieder.

Fred van der Kooij und Manfred Reichert
Interpret/innen

Schauspieler: Nikolaus Dutsch, Liliana Heimberg, Helmut Vogel
Basstuba: Klaus Burger
Schlagzeug: Sylwia Zytynska
Musikalische Einstudierung: Manfred Reichert
Bühnenbilder, Ausstattung: Fred van der Kooij
Kostüme: Britta Hildebrandt

Kooperationen

Kompositionsauftrag des steirischen herbstes und des ORF

Termine
Location
open house Orpheum – Haus der Jugend
Musiktheater
Uraufführung