ART REFLEXE
ART REFLEXE Bildkompositionen

Auf Anregung des Musikers Wim van Zutphen überarbeiten die Künstler GUNTHER DAMISCH, JOSEF DANNER, WERNER REITERER und OTTO ZITKO ausgewählte Blätter traditioneller Musiknotation, die in der Folge vom Austrian Art Ensemble als Objekt einer akustischen Realisierung umgesetzt werden. Die Notationen, so wie sie zunächst den Künstlern vorliegen, stellen ein visuelles Zeichensystem dar, das Ausdruck für ein Netz von musikalischen Beziehungen ist. So verwenden die vier Künstler verschiedene Partituren traditionell notierter Werke als Matrix ihrer eigenen Inschriften.

Das bearbeitete Notenmaterial wird verwandelt und geradezu überarbeitet, zurückgegeben an die Musik, die darauf wiederum in ihrer eigenen (akustischen) Sprache reagiert. Das neu entstandene Zeichensystem erscheint zunächst weitgehend frei von musikalischen Bedeutungen und Festlegungen, es entzieht sich weitgehend einer bestimmten musikalischen Lesbarkeit. Was also diesen interdisziplinären Dialog ausmacht, ist ein wechselseitiger Prozess der Aneignung und der Übereignung des jeweils anderen Mediums und des erneuten Sich-Aneignens.

Die Künstler wählen ihre zur Übermalung bzw. zur Überarbeitung vorgesehenen Blätter vorwiegend nach optischen Kriterien aus. Dabei ist das Material des Papiers, die Fehler und Unebenheiten oder auch die Art des Druckverfahrens vielleicht ebenso ein Auswahlkriterium wie die prinzipielle Zeichendichte oder die freien Stellen zwischen den Notenlinien.

,, ... the interpretation of imperfections in the paper upon which one is writing may provide a music free from one's memory and imagination. "(John Gage)

Die ursprüngliche Komposition spielt bei der Auswahl eine eher untergeordnete Rolle. Denn diese rein visuellen Vorstellungen der Künstler entstehen in gewisser Weise aus der Indifferenz und der weitgehenden Unbefangenheit gegenüber dem bearbeiteten Material.

Die Aktion der Übermalung, der Überarbeitung ist ein Prozess der Integration. Zu Beginn gibt es Momente des Wahr-Nehmens und des Annehmens des Gegebenen. In einem zweiten Schritt macht sich der Maler und später auch der Musiker das jeweils Andere zu eigen, indem er es kommentiert, auslöscht, übermalt und in seine eigene Sprache transformiert.

Die erste Re-Aktion sozusagen findet auf Seiten der Künstler statt: Die Unbefangenheit vor dem ansonsten weißen Blatt Papier, wo der Künstler ein Unbezeichnetes zum ersten Mal mit dem Stift oder mit dem Pinsel berührt, weicht der „Heiligen Scheu" vor der Notation eines anderen. Es ist ein Eingriff, vielleicht auch ein Angriff auf das Gegebene.

Die Art des Überarbeitens beinhaltet jedoch nicht nur eine Auslöschung des gegebenen Materials, sondern sie eröffnet auch einen neuen, anderen Blick auf das Verborgene, denn das Verborgene ist ja immer noch da. Die ursprüngliche Notation, das Zuvor-Geschriebene, bleibt dem Lesenden, dem Spurensucher nur noch als nahezu Ausgelöschtes erhalten. So ist die Begegnung zwischen bildender Kunst und Musik nicht nur gekennzeichnet durch das Wahrnehmen des Anderen und das anschließende Zurückführen in das ursprüngliche Medium. Es bedeutet auch, dass sich sowohl die Künstler als auch die Musiker auf eine eigene Form der Entzifferung einlassen müssen. Dabei wird wechselseitig etwas anderes über das jeweils vorliegende Material offenbart.

In der Koexistenz zweier unabhängiger Aufzeichnungen wird ein Zwischenbereich eröffnet, der um ein gegenseitiges Sich-Entziffern, um eine gegenseitige Verständigung kreist, wobei die beiden an sich getrennten Medien nicht die gleichen Verstehensregeln teilen.

Unabhängig davon, wie diese Auf-Zeichnungen, Über-Zeichnungen oder auch Collagen aussehen, gibt der Künstler dem beschriebenen Blatt eine eigene Note, es entsteht eine eigene ,,Notation".

Es entstehen bildhafte, ikonische Partituren, deren „Einteilungen" und damit deren weitgehend festgelegte Möglichkeiten der akustischen Umsetzung noch gefunden werden müssen.

Es sind dies „Partituren ohne Einteilung" -Einteilung ist hierbei im Sinne einer weitgehend festgelegten Codierung zu verstehen - was geradezu einem Paradoxon gleichkommt, denn wenn man dem lateinischen Ursprung des Wortes „partire" nachgeht, was ,,teilen", ,,einteilen" bedeutet, so erscheint die Vorstellung einer Partitur ohne Teilungen gleichsam als Gedankenfehler.

Ein System von musikalischen Zeichen, das mit einer weitgehend bestimmbaren Einteilung versehen ist, wird übermalt und überklebt, sodass mehr als nur die ursprüngliche Einteilung verschwindet. Durch die Auf-Zeichnung entsteht ein autonomes, zunächst rein visuelles Objekt. Es entsteht ein ganz neuer Anschauungsgegenstand, ein Bild, das zunächst nicht auf eine musikalische Strukturierung hin ausgerichtet sein muss und sicher auch nicht im Sinne einer traditionellen Dechiffrierung, so wie sie zuvor bestanden hat, verwendet werden kann.

So ist dann die Verstellung des Blicks, die Störung der ursprünglichen Inschrift, nicht nur ein Prozess der Integration, sondern sie setzt sich über das schon Be-Zeichnete hinweg, um andere Beziehungen und Beziehungsgeflechte auf der Fläche zu schaffen.

Es entstehen andere „Noten-Bilder", die jedoch nicht von Musikern „aufgezeichnet" wurden und wohl auch schwerlich als das Ergebnis einer bestimmten musikalischen Vorstellung zu verstehen sind. Dennoch kann es nicht ausgeschlossen werden, dass die Künstler ihren musikalischen Vorstellungen zumindest ansatzweise optischen Ausdruck verleihen, denn ihnen ist auch bewusst, dass das neugeschaffene Noten-Blatt wieder akustisch transformiert und als Partitur verwendet wird. Ein „Noten-Bild" wird „überspielt".

Ähnlich, wie sich meine Sprache über diese Begegnung zwischen Kunst und Musik als eigener Dialog zwischen den Zeilen und Lineaturen einschiebt und dabei die Nomenklatur als Wanderer zwischen den Zeilen erscheint, ist auch das gemeinsame „Sprachspiel" noch nicht definiert. Denn es entsteht ein Dialog zweier unabhängiger Systeme, zweier einander weitgehend fremder Sprachen.

Während die Musiknotation einen zeitlich begrenzten Rahmen für akustische Umwandlungen festlegt, stellt das Bild ein mit dem Visuellen verbundenes Zeichensystem dar. Das Bild schafft sich seinen eigenen Raum, seine eigene Lesbarkeit und auch seine eigene Zeitlichkeit. Das unterscheidet das visuelle Ereignis wesentlich von der musikalischen Notierung. Denn, ,,... wenn die traditionelle oder ,klassische' Musik (bzw. ihre Notierung, Anm. d. Verf.) darauf aufbaut, dass die Beständigkeit des Signals bzw. dessen Identität mit sich selbst ... wiedererkannt wird, ... " (Daniel Charles), so kann hier im Rahmen dieses interdisziplinären Prozesses nur eine freie und weitgehend offene Re-Codierung stattfinden, bei der nicht nur die Sukzessivität der Anordnung zur Disposition steht.

Wenn nun also die sukzessiv lesbaren Zeichen, das heißt die ursprünglichen, traditionellen Partituren, übermalt, ausgelöscht, integriert, und damit nahezu zum „übersehenen" Material werden, dann muss das auch Auswirkungen auf das Zeitmoment haben, welches das Moment ist, das Malerei und Musik voneinander zu trennen scheint. Mit dem Auslöschen einer musikalischen Vorstellung wird auch das Moment der horizontalen beziehungsweise sukzessiven Zeiterfahrung eliminiert, oder doch zumindest gestört. Das in der Kontinuität von Zeiterfahrung gedachte Notationssystem, das sich in der zeitlichen Folgerichtigkeit einer von links nach rechts vorgegebenen Lesbarkeit ausdrückt, wird verdeckt durch ein zunächst flächiges, räumliches oder farbräumliches Gefüge, das erst im weiteren Betrachten auch eine zeitliche Wahrnehmungsmöglichkeit eröffnet. So entdeckte John Cage, ,, ... dass eine horizontale Linie, die korrespondierende grafische Veränderungen determinierte, zu einer vertikalen Linie in der Musiknotation werden musste. Zeit statt Raum."

Dieses und andere zeitliche Momente der Bildwerke offenbaren sich jedoch eher als offenes, zeitliches Feld, als ein nicht messbares Zeit-Zeichensystem. Es manifestiert sich zum einen in dem Kontrast zwischen der optisch statischen Partitur und der Aufzeichnung, der bewegten Über-Zeichnung der Künstler. - Die sukzessive Wahrnehmung der Notation weicht der Gleichzeitigkeit oder zumindest der Störung der linearen Strukturen. Die Fläche „Bild" wird als Erscheinung eines Ganzen genommen, damit bewegen sich die Zeichen der Künstler weitgehend unabhängig von einer linearen Zeichenvernetzung, auch wenn dieses quasi als Raster dem Bilde unterliegt.

Zum anderen verweist die Auf-Zeichnung auf ein zeitlich Nach-Gestelltes. Die ursprüngliche Partitur ist die erste Aufzeichnung, die dann, zeitlich gesehen, nachgezeichnet wird. Die Spuren des Vorhergehenden können dabei erkennbar bleiben. Das Vergangene und das Gegenwärtige begegnen sich in einer neuen Spielanweisung.

Analog zu dieser innerbildlichen Begegnungsebene zwischen Vergangenheit und Zukunft begegnen sich hier auch die bildende Kunst und die Musik. Entscheidend dabei ist, dass die jeweils eigene Aneignung des Anderen immer auch etwas Neues über das jeweils Angeeignete offenbart.

Eine Möglichkeit der musikalischen Transformation findet sich in der Suche nach dem Verborgenen. Das Entdecken des Verdeckten. Vielleicht folgt der Musiker den palimpsestartigen An-Klängen, also dem, was vorher schon da war, was verdeckt, erloschen oder verzerrt wurde. Dabei markieren die fragmentarischen Überreste der nahezu ausgelöschten Notation die verführerischen „Haltestellen" seines Blicks.

In anderen Augenblicken wird die freie Improvisation das Bild überlagern und stören, dabei gibt die musikalische Überlagerung eine Richtung an, wie das Bild gelesen werden kann. Damit verstellt auch die Musik den unbefangenen Blick auf das visuelle Ereignis.

In jedem Fall entsteht ein neues Werk, es entsteht aus den Spiegelungen, die das jeweils Andere zu erkennen gibt. Es wird gerade an den Stellen zum Ereignis, wo das jeweils eigene Sprachspiel überschritten wird.

Offen bleibt auch die Frage, ob es sich um autonome Bildwerke handelt, oder ob das Werk erst zu dem Zeitpunkt abgeschlossen ist, wenn die letzten Klänge, Töne oder Geräusche auch in den Köpfen der Zuhörer verklungen sind.

Das Moment, das hier zur Disposition steht, ist der Werkbegriff. Es ist unmöglich und vielleicht auch gar nicht sinnvoll, überhaupt von einem Werk zu sprechen. Denn was in verschiedenen aufeinanderfolgenden Schritten und durch sehr unterschiedliche Künstler und Kunstgattungen entsteht, ist zunächst ein Konglomerat von Vorstellungen, die erst einmal verschiedene Sprachen sprechen und nebeneinander bestehen. Sind dies nun aber Einzelmomente, Fragmente, Fetzen aus einem Ganzen, oder sind es autonom wirkende Ereignisse, die durch das zusammentreten sich einen noch unbestimmten Ereignisraum öffnen, dessen Grenzen nicht vor ihren medienbedingten Beschränkungen halt-machen? Es sind noch viele Fragen offen ...

... ,,we will see, what happens ... " (John Cage)

Kirsten Hanna Potthoff
Interpret/innen

Austrian Art Ensemble
Klavier: Christiane Aistleitner, Wim van Zutphen Schlagwerk: Günter Meinhart und Horst Günther Schenk

Kooperationen

Auftragswerke des ORF

Termine
Location
Grazer Congress – Saal Steiermark
Installation
Uraufführung